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Kunst des Tröstens Worte tun gut, aber Menschen sind besser

Schlägt das Schicksal zu, brauchen wir Trost. Ein neues Buch zeigt, was wir aus früheren Zeiten lernen können.

Premierminister des eigenen Landes zu werden: Das war auch der Traum des Kanadiers Michael Ignatieff. Aber wie es so ist mit Träumen: Sie platzen meist. Ignatieffs Traum platzte gar knallend: Unter seiner Führung erlitt die Liberale Partei die schlimmste Wahlniederlage in ihrer 150-jährigen Geschichte.

Noch am Wahltag sprach Ignatieff sich und seinen Anhängern Trost zu. «Wir können das Resultat nicht kleinreden. Niederschläge sind immer schmerzhaft. Doch lasst uns die Momente bewahren, die uns inspiriert und glücklich gemacht haben.»

Michael Ignatieff: Historiker und Politiker

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Ein Mann mit Mikrophon.
Legende: Keystone / JONATHAN HAYWARD

Der Historiker und Autor Michael Ignatieff (Jahrgang 1947) gehört zu den wichtigsten Intellektuellen im angelsächsischen Raum. Aufgewachsen in Toronto als Sohn russischer Immigranten, forschte Ignatieff unter anderem an der renommierten Harvard Universität und beriet die Vereinten Nationen.

Nach einem Abstecher in die Politik in seinem Heimatland Kanada wurde Ignatieff einer breiteren Öffentlichkeit als Rektor der Central European University bekannt, die 2021 auf Druck des ungarischen Premiers Viktor Orbán von Budapest nach Wien umziehen musste.

«Falscher» Trost

Michael Ignatieff hätte sich auch damit zufriedengeben können, was er «falschen» Trost nennt. Sich zurückgewiesen fühlen. Sich einreden, das Beste gegeben zu haben. Weitermachen.

Doch Ignatieff wollte in den darauffolgenden Jahren seiner Niederlage voll ins Auge sehen. «Ich habe zwar mein Bestes gegeben. Doch mein Bestes war in diesem Fall nicht gut genug.»

Eine Geschichte des Trostes

Den «richtigen» Trost zu finden braucht Zeit, weiss der heute 74-Jährige. Helfen können dabei die Geschichten von Menschen, die vor uns in ähnlich schlimmen Situationen Trost fanden.

In seinem neusten Buch ist Ignatieff wieder ganz der Historiker, wie vor seinem Abstecher in die Politik. Ihn treibt dabei die Frage um, wie die Menschheit über Jahrtausende hinweg eine Tradition des Trostes entwickelte.

Von den Psalmen über Cicero und Albert Camus kommt er zum Auschwitz-Überlebenden Primo Levi und zeichnet nach, wie diese Autoren auch unter widrigsten Umständen ihrem Schicksal und ihrer Trauer die Stirn boten.

Überzeitliche Verbindung

Ignatieffs These: Der religiöse Trost ist heute in den Hintergrund getreten. Der moderne Mensch kann dennoch Trost finden, wenn er eine überzeitliche Verbindung mit Menschen eingeht, die lange vor uns ähnliche Nöte und Bedürfnisse hatten.

So suchte zum Beispiel bereits Cicero Trost angesichts des Todes seiner geliebten Tochter. Und trotz Krankheiten und Gewalt fand der Philosoph Michel de Montaigne Trost in seiner Liebe zum Leben selbst.

«Das Lesen solcher Geschichten kann uns bereits ein wenig trösten», ist Ignatieff überzeugt. Wir bewegen uns dabei in der Zeit weit zurück – und gleichzeitig entwickeln wir uns nach vorne.

Buchhinweis

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Michael Ignatieff: Über den Trost in dunklen Zeiten. Ullstein, 2021.

Trost ohne Religion

Einige der Geschichten im Buch schöpfen Trost aus dem Glauben an Gott. Gerade weil Schicksalsschläge oft keinen Sinn erkennen lassen, tröstet der Glaube an eine sinnvolle Ordnung.

«Als meine Eltern kurz nacheinander verstarben, konnte ich mich aber nicht damit trösten, dass nun ihr neues Leben im Jenseits beginnt», meint Ignatieff.

Denn dem Kanadier kam der religiöse Trost beim Lesen des Philosophen David Hume abhanden, der seinem Tod nüchtern entgegensah und seinen Lebensabend betont heiter verbrachte.

Nicht immer können Worte helfen

«Trösten ist etwas vom Schwierigsten», weiss Ignatieff. Deshalb müssen wir die verschiedenen Traditionen des Trostes bewahren, ob die nun religiös sind oder nicht.

Wenn jemand die Partnerin oder ein Geschwister verloren hat, fehlen uns die Worte. Es gibt nichts, was wir sagen können. In diesen besonders dunklen Zeiten können wir nur mit den betroffenen Menschen zusammensitzen.

Gemeinsames Trösten

Denn letztlich werden wir nicht von Glaubenssätzen oder Büchern getröstet, sondern von den Menschen in unserer Nähe.

Ignatieff kann den Untröstlichen nur einen Rat geben: sich nicht abschotten, sondern versuchen, den Kontakt zu anderen Menschen aufrechtzuerhalten. «Denn selbst wenn keine ihrer Worte Bedeutung haben kann: Lassen Sie sich berühren. Körperliches Wohlbefinden ist unglaublich wichtig.»

SRF 1, Sternstunde Religion, 23.1.2022, 10:00 Uhr ; 

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