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Ich pumpe, also bin ich - Jörg Scheller zu Fitness und Körperkult
Aus Sternstunde Philosophie vom 01.03.2020.
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Kunst und Körperkult «Bei Intimrasur denke ich an Religion»

Der Kunstwissenschaftler und Teilzeit-Bodybuilder Jörg Scheller beschäftigt sich intensiv mit dem gegenwärtigen Körperkult. Hier erklärt er, warum die Intimrasur mit Engeln zu tun hat und was hinter dem Tattoo-Trend steckt.

Jörg Scheller

Jörg Scheller

Kunsthistoriker

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Jörg Scheller ist Professor für Kunstgeschichte an der Zürcher Hochschule der Künste, Journalist und Musiker. Er kuratierte mehrere Ausstellungen, darunter «Building Modern Bodies» in der Kunsthalle Zürich.

Zu seinem publizistischen Profil gehören Aufträge für diverse Printmedien sowie Buchveröffentlichungen. Er ist ausserdem Sänger und Bassist des Heavy-Metal-Duos «Malmzeit».

(Bild: Annick Ramp / NZZ)

Website von Jörg Scheller

SRF: Die heutigen Körper sind nicht nur durchtrainiert, sondern auch glattrasiert. Wie deuten Sie als Kunsthistoriker den Trend zur Körper- und Intimrasur, Herr Scheller?

Jörg Scheller: Gerne wird das mit einer allgemeinen «Pornographisierung» in Verbindung gebracht. Das mag schon sein. Aber diese glattrasierten Körper sind auch «Teflon-Körper», an denen alles abperlt.

Sie wollen zeitlos sein. Als gehörten sie eigentlich ins Jenseits, wo man nicht altert. Sie ähneln den Körpern antiker Statuen oder denen von Engeln. Haben Sie schon mal einen Engel mit starker Körperbehaarung gesehen?

Die glattrasierten Körper der Gegenwart erinnern an utopische Körper.

Intimrasur als quasi-religiöses Statement?

Das kann man so sehen. Mittelalterliche Theologen wie etwa Thomas von Aquin behaupteten, wir würden im Jenseits mit perfekten Körpern auferstehen, die nicht altern und sich nicht vermehren. Die glattrasierten Körper der Gegenwart erinnern an diese utopischen Körper.

Gegen die himmlische Reinheit der Körper spricht doch ein anderer Trend: die Tattoos.

Kein Trend ohne Gegentrend. Aus bildwissenschaftlicher Sicht könnte man spekulieren, dass die Bildproduktion am eigenen Körper begonnen hat. Noch vor der Höhlenmalerei. Menschen haben ihre Haut bemalt, etwa um damit Status zu markieren.

Erst im Laufe der Geschichte haben sich die Bilder immer weiter vom eigenen Körper entfernt. Zuerst an die Höhlenwand, später ins Museum, heute ins Netz.

Ich betrachte die Selfie-Kultur durchaus als eine ernstzunehmende Kultur.

Und nun kommen die Bilder also zurück?

Das wäre die These. Im Zuge dessen, was der Medientheoretiker Marshall McLuhan «the global village» genannt hat, also aufgrund des Zusammenwachsens der Welt zu einem globalen Dorf, kehren die Bilder wieder zurück auf unsere Körper, als Tattoos.

Wir markieren damit Status und Identität direkt auf unsere Körper und tragen, auch wenn wir ständig unterwegs sind, unsere Zeichen immer bei uns. Das Bild von uns ist ganz nah, konkret und fassbar. Vermutlich geht es dabei auch um eine Rückgewinnung von Kontrolle.

Gleichzeitig versenden wir massenhaft Selfies in die halbe Welt. Wie stehen Sie als Kunsthistoriker zu der Flut an Selbstbildnissen, die in den sozialen Medien kursieren?

Ich betrachte die Selfie-Kultur durchaus als eine ernstzunehmende Kultur. Es geht dabei weniger um Narzissmus, sondern vielmehr darum, sich in eine weltumspannende Bildsprache einzuschreiben, Teil einer globalen Bewegung zu sein, Teil der Selfie-Kultur.

Selfies werden bewertet, kommentiert, man macht sich Gedanken über sie. Kunsthistorisch betrachtet, könnte man von einer digitalen «Salon-Kultur» sprechen. Hier wird zwar Homogenität und Normalität erzeugt, aber es gibt durchaus auch eine Selfie-Avantgarde.

Sie sind eine erstaunlich vielseitige Person: Professor, Publizist, Heavy-Metal-Musiker und Teilzeit-Bodybuilder. Wenn Sie ein Selfie machen müssten, das Ihre Person am treffendsten einfängt: Was wäre darauf zu sehen?

Ich habe vor einiger Zeit auf Twitter eine Bild-Serie gemacht, die hiess «Selflessie»: Selfies von mir, aber immer knapp am Kopf vorbei fotografiert. Das trifft meine Person vermutlich am besten.

Das Gespräch führte Yves Bossart.

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