«Wenn man über das Gebiet in den Bergen schreibt, dann haben die Leute das Gefühl man gehe gerne wandern, man gehe jagen auf die Berge – das mache ich alles nicht.» Arno Camenisch hat Höhenangst und lebt in der Stadt. Besucht er das Graubünden, reist er spätestens nach zwei Tagen wieder ab. Er ist keiner der bergbesessenen Heimatbewahrer. Keiner der romanischen Sprachpuristen. Im Gegenteil. Er glaubt an die Veränderung. «Ich teile nicht den Pathos um die sterbende Sprache. Ich finde Sprache wandelt sich und mich interessiert, wohin sie sich wandelt. Natürlich verschwindet diese Sprache früher oder später, das ist eben natürlich, weil alles sich wandelt.»
Romanisch – die Herzenssprache
Tavanasa, sein Heimatdorf - «mit vier a’s, das muss man erst mal finden» - liegt im Schatten der Bündner Berge. Hier hat der 35-jährige Autor seine Kindheit verbracht. Hier ist er in einer prägenden Sprachen-Vielfalt aufgewachsen. Heute schreibt er hauptsächlich deutsch - «meine Literatursprache», seltener Romanisch - «meine Herzenssprache».
Fernsehen, Fussball und Schmetterlinge im Kopf
Bis in die späten Teenager-Jahre waren Fussball und Fernsehen sein Leben. Bücher hatten da keinen Platz. Die Freude an der Sprache entdeckte Camenisch erst als Jugendlicher in der Dorfkneipe. Man sass zusammen und frönte dem romanischen Sprechgesang - «es gibt sonst nicht viel zu tun in diesen Tälern». Seitdem eröffnet ihm das gesprochene Wort neue Welten, inspiriert ihn zu immer neuen Spielen mit der Sprache. Mit ihren Klängen und Rhythmen.
«Noch heute spickt er seine Texte mit romanischen und anderssprachigen Ausdrücken, schert sich dabei nicht um Rechtschreibung und Grammatik, sondern schreibt übers Hören - «ich habe den Sound im Ohr». Die Ideen für seine Geschichten, die fliegen ihm «wie Schmetterlinge durchs Hirn». Kurz vor dem Einschlafen. Davon lebt er.
Metapher – schön wie ein Bergsee
Camenisch bedient sich für seine Geschichten der Bergwelt und der Sprache der Menschen aus dem Dorf. Er schreibt über das, was er kennt «erst wenn man etwas gut kennt, kann man richtig präzis sein.» Er schreibt, nach eigenen Angaben, «dem Leben entlang» und mischt diese Alltagswelten mit skurrilen, fabulierten Szenen. Mit viel Lust am Spiel mit der Sprache tut er dies und einem feinen Gespür für starke, in ihrer Einfachheit bestechende Bilder: «Sie war schön wie der Winter / Wenn sie geht fühlst du dich drei Tage lang wie ein nasser Bodenlumpen / Er hatte einen Bart wie eine Schaufel / Der Sommer ist ein grün gefärbter Winter / Eine Nacht ist nackter als die andere.» Überraschende Metaphern lauern auf jeder Buchseite, seine Paradedisziplin sozusagen.
«Bein raufnehmen und laufen lassen – wie beim Schlitteln»
Camenischs Bücher verkaufen sich gut. Sein Werk wird in viele Sprachen übersetzt und mit Preisen überhäuft. Seine Lesungen sind Publikumsmagnete. Und er liebt den Auftritt: Er trägt seine Texte vor, wie eine Litanei, wie Musik, rhythmisch deklamierend, mit singender Stimme und lässt dabei immer wieder den Schalk aufblitzen, der zu seinem Markenzeichen geworden ist. In seinen Geschichten liegt viel Witz. Das macht Spass. Aber erklärt das auch seinen grossen Erfolg?
Die Mischung macht’s: Camenischs Instinkt für Spass und Spiel, für Klänge, starke Metaphern und skurrile Szenen einerseits; die Schlitzohrigkeit eines Autors, gepaart mit der Pragmatik, der Direktheit und Disziplin des Berglers andererseits – diese Kombination ergibt etwas Neues, Spannendes. «Ich mache mir keine Gedanken, ich schreibe einfach meine Bücher und mache immer weiter. Das ist wie beim Schlitteln, Bein raufnehmen und laufen lassen, sich nicht zu viel darauf einbilden», findet Camenisch. Es entstehen auf jeden Fall Geschichten, die die Menschen von Appenzell bis Budapest, über Arosa bis Glasgow lesen und auch hören wollen.