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Gesellschaft & Religion Leben am Rande der Zivilisation

Ein Marineoffizier wohnt mit Frau und Kind am Ende der Welt: am Kap Hoorn. Dieser Ort ganz im Süden von Südamerika hat Entdecker und Abenteurer seit jeher fasziniert. Wie trotzt man der Einsamkeit und den Gewalten der Natur? Ein Besuch.

«Hallo! Ich bin der Bürgermeister von Kap Hoorn, der südlichsten bewohnten Insel am Ende der Welt.» Wir stehen im kleinen Postamt von Capo de Hornos, Juan Andrés Valenzuela Yañez begrüsst uns und lacht dabei schelmisch. Bürgermeister? Der Offizier ist von Beruf Telekommunikationstechniker. Den grossgewachsenen Enddreissiger mit schütterem Haar, feinen Gesichtszügen und Hang zur feinen Ironie würde man eher in einer Universität erwarten als am Rande der Zivilisation. Zusammen mit seiner Frau Paula, dem 12-jährigen Sohn Matias und Pudel Melchor lebt und arbeitet er hier. «Wir dienen für zwölf Monate unserem Heimatland Chile».

Yañez ist sichtlich stolz. Er und seine Familie kümmern sich um die meteorologische Station und leiten die Wetterdaten an die Schiffe weiter. «Ausserdem halten wir fest, wer in dieser Gegend unterwegs ist.» Die Aufgabe des Marineoffiziers besteht vor allem darin, chilenische Präsenz an diesem symbolträchtigen Ort zu demonstrieren. Alle Schiffe müssen dem Militär gemeldet werden. Denn zwischen Chile und Nachbar Argentinien schwelt ein alter Streit über den Grenzverlauf im südlichen Patagonien und auf Feuerland, das etwa 200 Kilometer entfernt liegt.

Kaffeetassen vom Kap Hoorn

«Manchmal empfangen wir auch Besucher von Kreuzfahrtschiffen und erklären ihnen alles.» Hinter dem Tresen stehen Ehefrau Paula und Sohn Matias. Sie verkaufen Ansichtskarten. Fast alle Besucher wollen von hier ein postalisches Lebenszeichen in die Heimat schicken – versehen mit dem begehrten Sonderstempel. Nebenbei verdient sich Familie Yañez mit dem Verkauf von Kap Hoorn-Kaffeetassen, T-Shirts oder bedruckten Wandtellern ein paar Pesos dazu. Aber zwischen April und Oktober, wenn es Winter auf der Südhalbkugel und auf Kap Hoorn noch stürmischer, noch verregneter ist, verirrt sich so gut wie kein Kreuzfahrtschiff mehr hierher.

Am Anfang war seine Familie gar nicht begeistert von der Vorstellung, zu dritt weit entfernt von der Heimat zu leben. Aber jetzt lieben alle diesen Ort, die Natur, die Vögel, sogar den Wind, sagt Juan Yañez. «Wir haben gemeinsam entschieden. Hier kann man es nur aushalten, wenn alle zusammenhalten.»

Der Bilddarm muss operiert sein

Das Leben auf Kap Hoorn verlangt viel ab. Der nächste Arzt ist Hunderte Kilometer entfernt. In einem Notfall kann der Hubschrauber aufgrund der Wetterverhältnisse auch nicht immer kommen. Deshalb war es eine Voraussetzung für diesen Job, dass man am Blinddarm operiert wurde. Auch die Zähne müssen bei allen Familienmitgliedern in gutem Zustand sein. Ausserdem mussten Juan und seine Frau eine Erste-Hilfe-Prüfung ablegen, um sich gegenseitig helfen zu können.

Das Wohnzimmer von Familie Yañez erinnert an ein maritimes Museum: Überall hängen Fotos von Schiffen und grimmigen Männern mit zerzausten Bärten. Es gibt Urkunden, Seekarten, Kompasse und nautischen Krimskrams. Möbel habe man natürlich nicht mitnehmen können, sagt Juan, im Haus war aber alles vorhanden: Waschmaschine, Fernseher, Fahrräder, eine Playstation. Dafür hat jeder aus der Familie einige Andenken und Erinnerungsstücke mitgenommen – vor allem Fotos und Kuscheltiere.

Dinge, die nicht alltäglich sind

Sohn Matias geht für ein Jahr nicht zur Schule, das klingt doch wie im Kinderparadies? «Nein, mein Papa ist mein Lehrer!» Und wie ist sein Lehrer? «Ein sehr guter!», sagt er und strahlt dabei, dass es keine Zweifel gibt.

Fernsehen schauen sie selten, der Empfang ist so lala, bei gutem Wetter sind alle vier draussen auf der Insel. Manchmal langweilt sich sein Sohn, dann vermisst er seine Freunde. Deshalb brachte die Familie einen Hund mit.

Wenn das Versorgungsschiff der chilenischen Marine die vor Wochen bestellten Lebensmittel anliefert, freuen sich alle auf Tomaten, Salat und andere Leckereien. Auf Dinge, die nicht alltäglich sind, wenn man nur 900 Kilometer von der Antarktis lebt.

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