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Gesellschaft & Religion Leben und Arbeiten in Belgien: Der Alltag mit der Terrorwarnung

Der Schweizer Aviel Cahn ist Intendant der Oper in Antwerpen. Für ihn bedeutet die hohe Sicherheitsstufe einen spürbaren Eingriff in seinen Alltag, privat wie beruflich. Gleichzeitig wirkt er angesichts der Terrorwarnung entspannt: «Autofahren ist in Belgien immer noch gefährlicher».

Belgien befindet sich im Ausnahmezustand, seit der Terroralarm auf der höchsten Sicherheitsstufe vier ausgelöst wurde. Diese Stufe ist bisher einmalig, die Situation davor war jedoch alles andere als entspannt.

Die militärische Präsenz im Alltag zum Beispiel ist nichts Neues: Wenn der Operndirektor Aviel Cahn in der Antwerpener Innenstadt Mittagessen geht, dann stehe da ein gepanzertes Auto: «Militär patrouilliert durch Antwerpen. Das ist aber schon länger der Fall.»

Der Grund für die angespannte Situation ist das Attentat auf das jüdische Museum in Brüssel im vergangenen Jahr. Das hat vieles verändert. Der Täter wurde sehr wahrscheinlich von Dschihadisten ausgebildet, er ging gezielt in das Museum, um Menschen zu ermorden. Das Attentat markiert einen Einschnitt. Cahn sagt, das Leben in Belgien sei nicht mehr wie vor fünf Jahren.

Farbaufnahme der Oper in Antwerpen innen mit roten Stühlen und grüner Decke
Legende: Seit dem Terroralarm finden in der Oper allabendlich Sicherheitskontrollen an allen Eingängen statt. Opera Vlaanderen / Mikhail Porollo

Operngäste werden durchleuchtet

Die aktuelle Terrorwarnung hat spürbare Auswirkungen auf das Leben in Flandern. Für die Oper, die Cahn leitet, heisst das: Die Sicherheitsvorkehrungen wurden massiv erhöht.

«Wir hatten Premiere und einen Tag davor hiess es ‹Sicherheitsstufe drei› für ganz Flandern. Wir mussten deshalb alle Theatereingänge sowohl für das Personal als auch fürs Publikum an den Vorstellungstagen mit Sicherheitspersonal besetzen.» Taschen wurden durchsucht, Besucher durchleuchtet.

Die Sicherheitsmassnahmen sind richtig und nachvollziehbar, meint Cahn. Die Menschen sind sensibilisiert, manche haben Angst, ins Theater zu gehen: «Wir kriegen regelmässig Anrufe vom Publikum – auch von weiter weg, ob die Vorstellungen stattfinden. Ob es sicher ist, zu uns zu kommen. Ich habe gerade heute eine E-Mail bekommen von einer Künstlerin aus dem Ausland, die zu uns reisen muss und die sagt, ihr Land rät davon ab, nach Belgien zu reisen.»

Autofahren ist immer noch gefährlicher

Die Bedrohung durch die Terroristen ist real, hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht. Weder in Antwerpen noch anderswo: «Das Risiko gibt es auch in London, Paris oder in Berlin», sagt Cahn. Aber: «Es ist immer noch gefährlicher, in Belgien Auto zu fahren! Die Wahrscheinlichkeit, bei einem Autounfall zu sterben, ist deutlich höher als durch einen terroristischen Akt.»

Terroralarm als politische Strategie

Aviel Cahn sieht hinter dem Terroralarm eine politische Strategie: «Das ist ein deutliches Zeichen. In Brüssel hat die Regierung jahrelang zugesehen, wie dieser Hummus gedeiht, in dem Terroristen unkontrolliert heranwachsen können.» Die hohe Sicherheitsstufe sei jetzt ein klares Statement dagegen, wie das in Brüssel in den letzten Jahren gelaufen sei.

Die Sicherheitsstufe vier lähmt seit Tagen die Hauptstadt und behindert den Rest von Belgien massiv. Als politische Strategie mag das für eine gewisse Zeit angehen, kann aber kein Szenario von Dauer sein: «Wenn man den Terroristen den grössten Sieg geben will, dann indem man hier unser Leben lahmlegt, kulturell und gesellschaftlich – und das passiert hier momentan. Das ist der grösstmögliche Effekt, den ein solcher terroristischer Akt haben kann, der ja noch nicht einmal hier in Brüssel, sondern in Paris passiert ist. Und dort geht das Leben weiter. Es ist etwas seltsam.»

Katzenbilder als ziviler Ungehorsam

Während europäische Regierungen versprechen, besser zusammenzuarbeiten, den Datenaustausch besser zu intensivieren, während Sicherheitsschleusen bei Hochgeschwindigkeitszügen diskutiert werden oder gerade darüber nachgedacht wird, internationale Zugtickets nur noch namensgebunden zu verkaufen, während ganz Europa sich also in erhöhter Alarmbereitschaft befindet, mehren sich in Belgien die Stimmen, die das alles auch übertrieben finden.

So wurde die Ansage der Polizei, nicht mehr zu twittern oder auf Facebook zu posten, um die Fahndung nicht zu gefährden, charmant kommentiert.

«Die Belgier posten Katzen, sie schicken Katzenbilder durch die Welt», sagt Cahn. «Das hat mit diesem belgischen Surrealismus zu tun, die Dinge nicht so ernst zu nehmen, wie sie dargestellt werden.»

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