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Charles Foster.
Legende: Nicht so verrückt, wie er vielleicht klingt: Forscher Charles Foster. Imago

Leben wie ein wildes Tier Dieser Forscher buddelt wie ein Dachs und futtert wie ein Otter

Er hirschte durch den Wald, otterte durch Flüsse und dachste im selbst errichteten Bau: Bioethiker Charles Foster begab sich von der Universität in die Natur, um als Tier zu leben. Was hat er dabei gelernt?

Das Wichtigste in Kürze:

  • Charles Foster halten viele für einen Irren – denn der Forscher versucht, wie ein wildes Tier im Wald zu leben.
  • Mit diesem Feldexperiment will er verstehen, wie Tiere denken und fühlen.
  • Foster glaubt, dass Menschen durch einen Wechsel der Perspektive ihre Sinne schärfen können.

Würde Ihnen Charles Foster in den Gängen der drittältesten Universität Europas begegnen – Sie kämen kaum auf die Idee, der adrett und frisch aussehende Mann sei über Wochen auf allen Vieren, die Nase in der Erde, herumgekrochen.

Doch genau dafür tauschte der Jurist, Bioethiker und Tierarzt die Hallen von Oxford ein. Nicht wenige halten den Forscher deshalb für einen Irren.

Das Geheimnis der Amsel

Inspiriert wurde der radikale Versuch von einer Kindheitserinnerung. Als Junge traf Charles Foster im Garten hinter seinem Elternhaus in Nordengland auf eine Amsel. Er schaute ihr in die Augen. Sie verbarg ein Geheimnis.

Sie schien, erinnert sich Foster, etwas über den Garten zu wissen, was er nicht wusste. Seither versucht er, dieses Geheimnis zu lüften.

Futtern wie ein Otter

Was wissen Tiere, was wir nicht wissen? Was geht in ihnen vor? Um das herauszufinden, begab sich Foster auf sein unkonventionelles Feldexperiment: Er liess sich als Rothirsch von einem Bluthund durch den Wald jagen, grub sich einen Dachsbau und kam beim Versuch, die Essgewohnheiten eines Otters nachzuahmen, an seine Grenzen.

«Wollte ich mit dem Otter hinsichtlich der Nahrungsmenge gleichziehen, müsste ich täglich etwa 88 Big Macs verdrücken», sagt Foster.

Mehr sehen als Mensch

Seine skurrilen Erfahrungen beschreibt der Autor in seinem Buch «Der Geschmack von Laub und Erde. Wie ich versuchte, als Tier zu leben». Darin begründet Foster den Versuch, dem Anthropozentrismus zu entkommen – also der Art, alles von einer menschlichen Perspektive aus zu betrachten.

Mittels neuer Perspektiven und dem Schärfen seiner Sinne will er das begrenzte Menschsein ablegen. Die physiologischen Mechanismen sind bei Tier und Mensch ähnlich. Davon ausgehend, versucht der Wissenschaftler, die Unterschiede durch Einfühlung auszugleichen.

Sendung online

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Charles Foster liess nichts unversucht, um sich ins Tier einzufühlen – und fand seine eigene Wildheit. Barbara Bleisch spricht mit ihm in «Sternstunde Philosophie» über sein Leben als Tier.

Das ganze Gespräch sehen Sie hier online: «Tier werden, um ganz Mensch zu sein»

Wer bei Einfühlung an Dr. Dolittle denkt, irrt. «Ich glaube nicht, dass wir zu Tieren sprechen können und dass sie uns verstehen», so Foster. Aber wir könnten auf anderen Plattformen als der Sprache versuchen, mit Tieren in Kontakt zu treten. Ähnlich wie etwa beim Hören eines Musikstücks, das uns auch ohne Sprache zu berühren vermag.

Barfuss und am Boden

Foster kritisiert, dass der Mensch seine Sinne verarmen lässt. Wir nehmen unsere Welt vor allem durch die Augen wahr und fällen Urteile basierend auf nur einem Bruchteil der Informationen, die uns zur Verfügung stehen. Unweigerlich treffe der Mensch dadurch Fehlentscheide, so Foster.

Um das Verständnis untereinander zu fördern und zu mehr Information zu gelangen, gilt es, die Sinne und das Einfühlen zu schulen. Foster propagiert hierzu einfachste Methoden.

Weder müssten wir seltsame Feldexperimente noch teure Reisen in ferne Länder auf uns nehmen. Um einmal die Perspektive zu wechseln, reiche es beispielsweise, sich auf den Boden zu legen oder barfuss zu gehen.

Buchhinweis

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Charles Foster: Der Geschmack von Laub und Erde. Wie ich versuchte, als Tier zu leben, Malik 2017.

Tier sein, Mensch werden

Gelungen sei es Foster nicht, sich vollends in die Tiere – Rothirsch, Fuchs, Otter, Dachs und Mauersegler – einzufühlen. In seinem viel beachteten Buch habe er lediglich aus menschlicher Perspektive beschrieben, was ein Dachs ganz anders erlebt.

Beim Versuch, als Otter zu leben, ist Foster gar etwas depressiv geworden. Er hat dabei aber auch gelernt: Das betrübte Ich ist kein guter Freund. Für seine Nächsten sei er, der sechsfache Familienvater, in dieser Zeit noch unerträglicher als sonst gewesen.

Die Welt jenseits der Sprache

Was in der Amsel vor sich geht, blieb für den Wissenschaftler auch nach dem exzentrischen Experiment ein Mysterium, dennoch würde er es wiederholen. Gelernt habe er letzten Endes vieles über den Menschen, sagt Foster.

Etwa, dass es sich lohnt, der Welt, wie wir sie wahrnehmen, zu entziehen und andere Formen der Wahrnehmung, vielleicht gar ein anderes Bewusstsein zu entdecken – jenseits der Sprache.

Sendung: SRF 1, Sternstunde Philosophie, 4.6.17, 11 Uhr

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