- In unserer Gesellschaft sind Frauen nach der Menopause häufig mit negativen Stereotypen konfrontiert.
- Dieses Image macht es alleinstehenden Frauen über 60 schwierig, einen Partner zu finden .
- Immer mehr ältere Frauen wehren sich gegen Vorurteile: denn in Realität leben sie selbstbewusst, leidenschaftlich und lebenslustig ihren Alltag.
Unsichtbar werden
Im Leben von fast jeder Frau – so zwischen 40 und 50 – kommt früher oder später der Moment, in dem sie merkt: sie wird unsichtbar. Das kann ein schleichender Prozess sein oder ein Schock-Erlebnis.
Sehr schön hat das der Schweizer Film «Giulias Verschwinden» von Christoph Schaub dokumentiert: Da ist eine Frau unterwegs zur Feier ihres 50. Geburtstages, und merkt bereits im Tram, dass sie niemand mehr wahrnimmt. Plötzlich erkennt sie sogar selber in der Fensterscheibe ihr eigenes Gesicht nicht mehr.
Die Leidenschaft abgesprochen
Für Pasqualina Perrig-Chiello, emeritierte Professorin für Entwicklungspsychologie, ist klar: Frauen sind viel stärker negativen Stereotypen vom Alter ausgesetzt als Männer: «Sie verlieren nach aussen hin ihre Sexualität, werden zu geschlechtslosen Wesen degradiert, denen man die Freude an Erotik und Leidenschaft abspricht.»
Pasqualina Perrig-Chiello leitet zur Zeit eine Nationalfonds-Studie, die «Partnerschaftsbeziehungen in der zweiten Lebenshälfte» unter die Lupe nimmt.
Unterschiedliche Kriterien
In Folge der zunehmenden Scheidungen über 60 sind auch wieder viel mehr Männer und Frauen auf dem Liebesmarkt. Und da wird einmal mehr deutlich: Frauen werden primär nach äusserlichen Kriterien beurteilt, und haben deshalb in einer Gesellschaft, die dem Jugendwahn frönt, mit zunehmendem Alter schlechtere Karten.
Bei Männern hingegen zählt stark ihre Leistung und ihr Status, was sie auch noch mit über 60 interessant macht. Für viele Frauen gewinnen sie sogar an Attraktivität. Dies erklärt, warum Männer auf Partnersuche problemlos auch jüngere Singles erobern könne: sie kommen deren Bedürfnis nach Schutz und Prestige entgegen.
Die Angst vor der alten Frau
Umgekehrt funktioniert es aber selten: Ältere Frauen haben Mühe, einen jüngeren Partner zu finden. Und das wiederum habe nicht nur mit Äusserlichkeiten zu tun, sondern mit dem Image, sagt Pasqualina Perrig-Chiello: «Die alte Frau war – historisch gesehen – über Jahrtausenden immer eine mächtige Frau. Und das macht den Männern Angst.»
In Mittelmeerkulturen hatten Frauen erst nach der Menopause etwas zu sagen: «Diese einflussreiche Stellung finden wir zum Beispiel auch bei den alten Hexen.» Sie verfügen über Wissen und Lebenserfahrung, und gewinnen so an Autorität.
Eine Frage der Macht
«Diese Eigenschaften machen alte Frauen zu mächtigen Figuren, aber diese Macht kann von der Gesellschaft nicht akzeptiert werden», betont Perrig-Chiello weiter. «Deshalb muss man sie neutralisieren und ihnen ihre Sexualität absprechen.» Bezeichnend dafür sei ja zum Beispiel, dass man die Grossmutter das Omi nenne, der Grossvater hingegen der Opi bleibe: «Die Grossmutter hat ihre Aufgabe zur Reproduktion erfüllt, und verliert damit auch ihre Sexualität.»
Widerstand regt sich
Paqualina Perrig-Chiello sieht aber, gerade unter den Frauen, dass sie sich gegen dieses Image wehren. «Früher waren ältere Frauen wie eine graue Masse, die als ideale Projektionsfläche für viele Ängste der Gesellschaft herhalten musste. Heutige Frauen sind kantig, zeigen ihr Ich, geben sich leidenschaftlich und lebenslustig – und sind nicht länger bereit, als Projektionsfläche zu dienen. Deshalb bin ich überzeugt: da wird sich einiges ändern.»
Sendung: Radio SRF 1, Doppelpunkt, 14.02.2017, 20:03 Uhr