Zuerst einmal nichts tun. Loslassen und sich selbst oder der Sache vertrauen. Nicht egoistisch sein, sondern geschehen lassen. So kann der zentrale Gedanke des Daoismus zusammengefasst werden.
Die chinesische Naturphilosophie ist rund 2500 Jahre alt und inspiriert bis heute. Zum Beispiel den Benediktinermönch David Steindl-Rast, der mit Zen seit Jahren vertraut ist. Der 97-jährige Österreicher, der den Zweiten Weltkrieg überlebt hat und sich seit Jahren für den interreligiösen Dialog einsetzt, ist überzeugt: «Bei uns in der westlichen Tradition ist vieles schiefgegangen. Das ist auf das Eingreifen der Menschen zurückzuführen.»
Allzu schnell würden wir einem Machbarkeitswahn verfallen, eingreifen und verändern wollen. «Wir sind wie Kinder, die die kleinen Karottenpflanzen immer wieder ausreissen, um zu schauen, ob sie wachsen», sagt Steindl-Rast schmunzelnd.
Nicht nichts tun
Im Daoismus sei die Grundhaltung eine ganz andere: Das Wu Wei, das Nicht-Handeln, soll die Dinge entstehen und wachsen lassen. Das sei einfacher, wenn man sich und das eigene Verhältnis zur Umwelt immer wieder reflektiert: wenn man einen kurzen Moment innehält und sich dem Augenblick bewusst wird. So falle auch das Loslassen leichter.
Auch im Christentum gehe es letztlich ums Loslassen, ist Steindl-Rast überzeugt. «Loslassen ist das einzige Tun, das Nicht-Tun ist.» Dieses alte Prinzip des Wu Wei meint also nicht passiv und tatenlos sein. «Das aktive Loslassen ist der erste Schritt, um überhaupt ins Vertrauen zu kommen», sagt Bruder David. «Und dieses Lebensvertrauen ist schliesslich die alltägliche Ausdrucksform für Glaube.»
Nichts Geringeres als die Suche nach Sinn
Glaube versteht der Benediktinermönch also jenseits von Kirchen und Institutionen. Auch Religion fasst er weit, wenn er von der Urreligiosität spricht: «Das ist nichts anderes als unser Suchen nach Sinn und dem grossen Geheimnis.»
Das sei allen Menschen angeboren und wie Wasser, das in verschiedenen Brunnen – also in den verschiedenen Religionen – fliesst. «Meiner Erfahrung nach ist diese Urreligiosität nirgends annähernd so rein und unmittelbar ausgedrückt worden wie im frühen Daoismus.»
Mit Daoismus Brücken bauen
Festgehalten wurde diese Philosophie im Buch «Daodejing» des Meisters Laotse. Die 81 Weisheitssprüche hat Steindl-Rast jüngst ins Hochdeutsche übertragen. Sie könnten helfen, sich persönlich weiterzuentwickeln und anregen, über Politik und Leid nachzudenken.
Mit der poetischen und offenen Art könne das Daodejing Brücken schaffen über Religions- oder Kulturgrenzen hinweg. Das sei nötiger denn je, sagt David Steindl-Rast mit Blick auf aktuelle Herausforderungen: «Klimawandel, Kriege oder Gewalttätigkeit können wir nur gemeinsam, als Menschheit lösen. Darum ist alles, was uns näher zusammenbringt, wichtig.»