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Gesellschaft & Religion Lepra, Pest und TBC: Neue Erkenntnisse über alte Seuchen

Forscher graben nach historischen Erregern wie Lepra oder Pest und sequenzieren deren Erbgut. Was sie daraus lernen, könnte die moderne Medizin ein wichtiges Stück weiterbringen.

Als sie starb – irgendwann im 14.Jahrhundert – war sie kaum älter als 25 Jahre. Ihre letzten Tage fristete die junge Frau in einer Lepra-Kolonie in Dänemark. Ihre exhumierten Gebeine, beschriftet als «Jorgen 625», leisteten nun der Wissenschaft ganz ausserordentliche Dienste. Denn in ihren Knochen und Zähnen fanden Forscher zu ihrer grossen Überraschung das nahezu perfekt erhaltene Erbgut des Lepra-Erregers, Mycobakterium leprae.

Neues Interesse an den ältesten Geisseln der Menschheit

Lepra war über Jahrhunderte eine wahrlich furchterregende Krankheit. Das Bakterium verursacht Haut- sowie Nervenschäden und befällt auch die Knochen. Im Mittelalter war die Seuche weit verbreitet. Laut einer Gruppe von deutschen Archäologen litten um 1300 etwa 25 Prozent der skandinavischen Bürger am so genannten Aussatz. Noch viel tödlicher war die gefürchtete Pest. Der schwarze Tod raffte zwischen 1347 und 1351 rund die Hälfte der europäischen Bevölkerung dahin. Dank Antibiotika haben beide Krankheiten ihren Schrecken verloren. Doch sie sind nicht ausgestorben. In Entwicklungsländern kommt es immer wieder zu Neuansteckungen.

Prof. Jesper Boldsen, Prof. Almut Nebel und Dr. Ben Krause-Kyora
Legende: Prof. Jesper Boldsen erklärt Prof. Almut Nebel und Dr. Ben Krause-Kyora die Knochenveränderungen einer Lepra-Patientin. Universität Kiel

In den letzten Jahren suchten Forscher nun gezielt auf mittelalterlichen Friedhöfen nach dem Erbgut von historischen Erregern. Johannes Krause, Evolutionsgenetiker an der Universität Tübingen, analysierte die historische DNA des Pest- und des Leprabakteriums. «Wenn man das Erbgut historischer Stämme mit aktuellen vergleicht, erfährt man daraus, wie das Bakterium sich an den Menschen angepasst hat.» Oder umgekehrt.

Was vertrieb die Lepra aus Europa?

Insgesamt verglichen Johannes Krause und seine Kollegen fünf mittelalterliche Lepra- mit elf aktuellen Lepra-Stämmen. Ein Rätsel liess sich auch mit dieser Analyse nicht wirklich lösen. Nämlich: Wie kam es, dass der Erreger in Europa seit etwa 700 Jahren so gut wie verschwunden ist? Eine Hypothese besagt, die mittelalterlichen Lepra-Opfer starben alle an der Pest. Und so kam möglicherweise auch das Leprabakterium in Europa um.

Doch es gibt noch eine andere Erklärungsmöglichkeit, meint der, an der Lepra-Studie beteiligte Stewart Cole von der ETH Lausanne. «Lepra war im Mitelalter eine sehr häufige Erkrankung. Dadurch entstand ein gewisser evolutionärer Selektionsdruck für Menschen, dagegen Immunität zu entwickeln. Und tatsächlich: Moderne Europäer haben eine genetisch Eigenheit, die sie vor Lepra schützt.» Menschen in Entwicklungsländern fehlt diese genetische Anpassung.

Alte Genome und neue Therapieansätze

Eines lässt sich aber über die Jahrhunderte sehr gut bis in die Gegenwart verfolgen: Das Mycobakterium leprae hat sich kaum verändert. Das erlaubt vorsichtige Prognosen auf künftiges Verhalten des Erregers, meint Johannes Krause: «Eine niedrige Mutationsrate ist ein gutes Zeichen. Das Bakterium wird vermutlich nicht so schnell gegen die existierenden Antibiotika resistent werden.»

Audio
Johannes Krause: «Künftige Wirkstoffe könnten auf die für das Bakterium überlebenswichtigen Regionen abzielen»
aus Wissenschaftsmagazin vom 15.06.2013.
abspielen. Laufzeit 16 Sekunden.

Resistenz gegen gleich mehrere Medikamente ist das Kennzeichen des Erregers einer anderen alten Seuche, des Tuberkulose-Bakteriums. Die TBC ist, nach HIV/Aids, die zweittödlichste Infektionskrankheit. Viele Forscher sind daher einem historischen TBC-Genom hinterher. Denn, so Johannes Krause: «Wenn sich bestimmte Regionen im Tuberkulose-Genom über lange Zeit nur wenig verändert haben, ist anzunehmen, dass der Erreger diese für seinen Metabolismus braucht». Künftige Medikamente könnten dann genau auf diese relativ stabilen und für das Bakterium überlebenswichtigen Regionen abzielen.

Die Sache hat nur einen Haken: Bisher fanden Forscher noch kein historisches Erbgut, aus dem sich ein komplettes Genom zusammenbauen liesse. Der Erreger der Tuberkulose ist zwar, wie die Lepra, auch ein Mykobakterium, doch mit einer lästigen Eigenheit: «Er fällt in die Klasse der Mykobakterien, die mit den ganz normalen Erdbakterien sehr eng verwandt sind». Das heisst, Proben von Skeletten mit Spuren von TBC in den Knochen bestehen aus einer bunten Mischung von Mikroorganismen, die selber mit den modernsten Technologien von Genlaboren noch nicht auseinanderzudividieren sind. Die Suche geht dennoch weiter. Potenzielle Quellen für ein historisches TBC-Genom sind Mumien aus Ägypten und Peru.

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