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Gesellschaft & Religion Libyen: Zwischen Revolutionsfeier und schwierigem Alltag

Libyen befindet sich in einer schwierigen Übergangsphase. Die Sicherheitslage ist immer noch prekär, der Aufbau neuer staatlicher Institutionen kommt nur langsam voran und viele der ehemaligen Revolutionäre wollen ihre Waffen nicht abgeben.

Vor kurzem wurde in Libyen der zweite Jahrestag des Revolutionsbeginns begangen. Im ganzen Land feierten die Menschen auf Strassen und Plätzen überschwänglich die Vertreibung des Diktators Ghadhafi und den Beginn einer neuen Ära. Doch die Begeisterung, die an diesem Wochenende in der Hauptstadt Tripolis zu spüren war, könnte zu falschen Schlüssen verleiten.

Herausforderung Rechtsstaat

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Beat Stauffer berichtet von seinem Aufenthalt in Libyen.
aus SRF 4 News aktuell vom 06.03.2013.
abspielen. Laufzeit 4 Minuten 34 Sekunden.

Zwar gehen die meisten Menschen in Libyen wieder ihren Alltagsgeschäften nach, die Erdölwirtschaft funktioniert wieder und seit einigen Monaten besitzt das Land auch eine neue, demokratisch gewählte Regierung. Doch der Aufbau neuer Institutionen und der Übergang zu einem demokratischen Rechtsstaat ist eine gewaltige Herausforderung. Es ist zum jetzigen Zeitpunkt alles andere als sicher, ob diese demokratische Transition gelingen wird.

Auf dem «Weg der Revolution» bleiben

Die Hindernisse auf diesem Weg sind zahlreich. So stellt die Auflösung der Katibas, der revolutionären Kampfbrigaden, ein grosses Problem dar. Viele der jungen Kämpfer, welche das Ghadhafi-Regime beseitigt haben, wollen bis heute ihre Waffen nicht abgeben. Sie misstrauen der neuen Regierung und befürchten eine Rückkehr von Gefolgsleuten des alten Regimes. Ihre Waffen betrachten sie als Druckmittel, um die neue Regierung zu zwingen, auf dem «Weg der Revolution» zu bleiben und Reformen durchzuführen. Auch unabhängige Beobachter haben ein gewisses Verständnis für die Haltung der Katibas. Und sie weisen darauf hin, dass wieder Gefolgsleute des alten Regimes an wichtigen staatlichen Stellen sitzen.

Schiessereien zwischen Brigaden

Der Ruf der jungen Kämpfer und ihrer Brigaden hat allerdings in den vergangenen Monaten stark gelitten. Viele Libyer haben genug von den jungen, bewaffneten Kämpfern, die meist selbstbewusst, manchmal auch arrogant durch die Strassen patrouillieren und sich oft grosse Freiheiten herausnehmen. Immer wieder kommt es zu Schiessereien zwischen verfeindeten Brigaden, dabei geht es oft um persönliche Abrechnungen und Rivalitäten.

Parade der libyschen Armee.
Legende: Die libysche Regierung will ehemalige Revolutionäre in die Armee holen: Hier bei der Feier zum Unabhängigkeitstag. Reuters

Einige der ehemaligen Brigaden sind aber auch zu kriminellen Banden mutiert, welche Überfälle begehen, Menschen entführen oder Waffen schmuggeln. Und schliesslich gibt es auch Brigaden, die sich einer salafistischen oder gar dschihadistischen Ideologie verpflichtet fühlen.

Die libysche Regierung versucht seit dem Ende des Revolutionskriegs, die ehemaligen Brigadisten zu einer Abgabe ihrer Waffen zu motivieren und ihnen gleichzeitig Posten in der neuen Armee oder bei der Polizei anzubieten. Dieser Prozess ist seit Monaten in Gang, kommt aber langsamer voran, als ursprünglich geplant.

Missstimmung in der Bevölkerung

Auch in anderen Bereichen entwickelt sich der Aufbau demokratischer Institutionen nur schleppend. Dies betrifft auch das Rechtswesen: Vielerorts sind noch die alten Ghadhafi-Richter im Amt, welche einst Oppositionelle zum Tod verurteilt hatten. «Bis heute gibt es keine Anzeichen dafür, dass tatsächlich ein neues Justizsystem aufgebaut wird», sagt Ahmed Shebani, der Gründer der demokratischen Partei Libyens.

Doch ohne ein unabhängiges Rechtswesen kann weder die leidvolle Vergangenheit aufgearbeitet noch ein neuer, demokratischer Staat aufgebaut werden. Shebani warnt die libysche Regierung eindringlich davor, die gegenwärtigen Probleme und die Missstimmung in der Bevölkerung zu ignorieren. Libyen riskiere andernfalls, ein «gescheiterter Staat» zu werden.

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