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Liebe vs. Freiheit Philosophin: «In einer idealen Beziehung werden wir autonom»

Abhängig und gleichzeitig unabhängig sein: Wie soll das gehen? In der wahren Liebe gebe man dem Partner oder der Partnerin die Freiheit, sich selbst zu finden, sagt die Philosophin Federica Gregoratto.

Federica Gregoratto

Philosophin

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Federica Gregoratto ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität St. Gallen und schreibt ihre Habilitationsschrift zum Thema Liebe.

SRF: Sie haben angefangen, sich philosophisch mit der Liebe auseinanderzusetzen, weil Sie sich für das Thema «Macht im Alltag» interessierten. Ist Macht auch in einer idealen Beziehung vorhanden?

Federica Gregoratto: Ja, weil Macht auch eine positive Kraft sein kann. Macht ist die Fähigkeit, etwas zu verändern und diese Veränderung kann sowohl positiv als auch negativ sein.

In einer idealen Beziehung verändern wir uns automatisch: Wir werden autonom und somit mächtig.

In einer Liebesbeziehung macht man sich von der anderen Person abhängig. In unserer Welt, in der Unabhängigkeit so sehr gelehrt wird, scheint das problematisch zu sein. Sie sagen, Liebe sei eine Erfahrung der Freiheit. Wieso?

Freiheit kommt aus der Wertschätzung der Abhängigkeit. Freiheit bedeutet nicht einfach, alles tun zu können, was ich will. Freiheit bedeutet, dass ich verstehe, welche Werte mir wichtig sind und dass ich sie verwirkliche.

In einer idealen Beziehung verändern wir uns automatisch.

Selbsterfahrung, Selbstverwirklichung und Selbsterkenntnis sind Befreiung: Das ist Freiheit.

Ist es nicht egozentrisch, wenn wir lieben, um uns selber zu verwirklichen?

Der ganze Prozess der Selbstverwirklichung gelingt mir nicht, wenn ich nicht auch bereit bin, ein Faktor für die Selbstverwirklichung meiner Partnerin oder meines Partners zu sein.

Liebe macht, dass wir unsere Partnerinnen und Partner besser verstehen. Liebe macht aus Ihrer Sicht also nicht blind, sondern sie macht uns sehend. Kann man das so sagen?

Ja, das stimmt. Wir lieben nämlich nicht die Perfektion. Wir lieben die Schwächen unserer Geliebten. Wir sehen durch die Liebe die Welt besser, die Geliebten und auch sich selbst.

Wir verändern uns, indem wir uns nicht verändern wollen.

Nimmt man diese Schwächen der anderen Person dann stillschweigend an, oder versucht man in einer Beziehung, die andere Person und sich selber zu verändern?

Wir verändern uns, indem wir uns nicht verändern wollen – zum Beispiel in der Akzeptanz unseres Selbst.

Wir beschäftigen uns gezwungenermassen mit existenziellen Fragen wie: «Was will ich eigentlich?», «Wo will ich hin?» und «Wer will ich sein?». So werden wir autonom.

Es gibt das Konzept der polyamourösen Liebe, das für Sie persönlich eine Option wäre. Macht Eifersucht dieses Konzept nicht brüchig?

Eifersucht kann sicherlich auch bei polyamourösen Beziehungen eine grosse Rolle spielen. Die Frage ist, ob sie ein Grund ist, um bestimmte Gefühle zu unterdrücken und die monogame Beziehung zu bevorzugen.

Die Vorstellung, Liebe sei exklusiv, ist nicht gut begründet. Ich muss hinterfragen, weshalb ich eifersüchtig bin.

Können Sie das ausführen?

Zum Beispiel muss ich mich fragen, ob ich eifersüchtig bin, weil ich selber Verlustängste habe. Dann hängt das aber wohl mit der eigenen Geschichte, mit den eigenen Traumata, zusammen.

Die Vorstellung, Liebe sei exklusiv, ist nicht gut begründet.

Wenn aber meine eigene Unsicherheit der Grund ist, dass ich meinem Partner oder meiner Partnerin verbieten will, jemand anderen zu lieben – dann ist das für die Beziehung grundsätzlich keine gute Ausgangslage.

Das Ziel in einer Beziehung ist, trotz der Eifersucht glücklich zu sein. Weil nämlich die Partnerin oder der Partner auch glücklich ist.

Das Gespräch führte Yves Bossart.

Sendung: SRF 1, Sternstunde Philosophie, 25.10.2020, 11:00 Uhr ; 

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