Das Wichtigste in Kürze:
- Der amerikanische Journalist Ben Ehrenreich hat eine literarische Reportage über das Leben im Westjordanland geschrieben.
- In «Der Weg zur Quelle. Leben und Tod in Palästina» erzählt er vom Alltag der Palästinenser, die sich unermüdlich für ihr Land einsetzen.
- Ehrenreichs Buch beeindruckt mit der gründlicher Zeugenschaft und reichen Recherchen.
Es begann 2011 mit einem Auftrag für das amerikanische «Harper’s»-Magazin. Der amerikanische Journalist Ben Ehrenreich besuchte im Westjordanland das Dorf Nabi Saleh, das für seinen tapferen und hartnäckigen Widerstand gegen die israelische Besatzung bekannt geworden war.
2012 kehrte er für das «New York Times Magazine» zurück und wusste bald, dass es ihn erwischt hatte. Er war einerseits fasziniert von der «berauschenden Nähe von Schmerz und Freude», die er bei dem seit Generationen hart gebeutelten palästinensischen Volk erlebte. Zugleich war er auch ergriffen von der «schrecklichen Klarheit der Ungerechtigkeit».
Den Widerstand unterstützen
So reiste er in den folgenden Jahren immer wieder ins Westjordanland. In Nabi Saleh schloss er sich vor allem jener Familie an, die die dörfliche Protestbewegung anführte. Mit ihr ass und feierte er, lernte Nachbarn und Freunde kennen.
Vor allem aber ging er mit ihnen zu den regelmässigen Demonstrationen und setzte sich den Tränengaswolken und Gummigeschossgranaten der israelischen Soldaten aus.
Den «Weg der Quelle», dem das Buch seinen Titel verdankt, treten die Menschen von Nabi Saleh jeden Freitag an. So protestieren sie gegen die Enteignung des Landes und des darauf befindlichen Wasserzuflusses.
Dieser Weg steht symbolisch für den stetig fortschreitenden Landraub im Zuge des Siedlungsbaus, und für die Zerstückelung des Landes. Mit dem Bau der Mauer nach der zweiten Intifada 2002 hat sie eine immer absurder werdende Form angenommen.
Steine gegen Waffen
Wie viele andere Beobachter von aussen ist auch Ehrenreich erschüttert von der Ohnmacht des palästinensischen Widerstands. Ehrenreich sah junge Palästinenser, die Steine auf israelische Soldaten schleudern. Sie nehmen Angriffe mit gummiüberzogenen Stahlgeschossen hin. Teils sogar solche mit scharfer Munition.
Als er sie fragte, wieso sie ihr gefährliches Spiel nicht aufgäben, erhielt er die Antwort: «Wir wollen unserem Land helfen, aber wir können es nicht. Wir können nur Steine werfen.»
Mit Tränengas auf Neunjährige
Ehrenreich nahm eine Wohnung in Ramallah und hielt sich länger in Hebron auf, jenem Ort, den ein israelischer Soldat auf Nachfrage als den «schlimmsten überhaupt» beschrieb. Es sei schrecklich, mit Tränengas auf Neunjährige loszugehen.
Beim Treffen mit ehemaligen israelischen Soldaten, die Friedenskämpfer geworden sind, erzählte einer von ihnen, er sei immer vom Sinn der allnächtlichen Razzien in palästinensischen Häusern überzeugt gewesen. Bis ihm ein Vorgesetzter gesagt hätte, es ginge um etwas ganz anderes: «Wenn sie die ganze Zeit Angst haben, dann werden sie uns nie angreifen. Sie werden nur das Gefühl haben, gejagt zu werden.»
In seinem Versuch, die palästinensische Lebenswirklichkeit in vielen Geschichten zu erzählen, hat Ehrenreich eine schier überwältigende Fülle an Details und Figuren zusammengetragen.
Trauriger Höhepunkt
Seine Dokumentationen beziehen sich auf den Kampf der Menschen in ihrem Alltag. Von ihm habe sich die palästinensische Führung, gefangen in Machtkämpfen und Korruption, längst entfernt und entfremdet.
Den traurigen Höhepunkt erreicht Ehrenreichs Buch im vierten Teil. Beim kurzen Krieg im Gazastreifen 2014 starben 2200 Palästinenser, darunter 551 Kinder. Demgegenüber standen auf israelischer Seite 72 Tote, darunter 66 Soldaten.
Nicht nur bei dieser Erzählung vom «Sommer der sterbenden Kinder» beeindruckt Ehrenreichs Buch. Es beruht einerseits auf gründlicher Zeugenschaft, andererseits auf reichen Recherchen.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 29.06.2017, 9:00 Uhr