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Ein Mann trägt ein lila Shirt.
Legende: Nationalrat Carlo Sommaruga zeigt sich mit violetter Kleidung solidarisch mit dem Frauenstreik. Keystone

Männer und Feminismus «Es braucht keinen Maskulinismus»

Ist Feminismus nur ein Frauending? Philosoph Dominique Kuenzle der Universität Zürich spricht darüber, was Feminismus eigentlich bedeutet, wieso er auch die Männer angeht und weshalb es keinen «Maskulinismus» braucht.

Dominique Kuenzle

Privatdozent

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Dominique Kuenzle hat Philosophie, Geschichte und Deutsch in Zürich studiert und lehrt Philosophie an der Universität Zürich und der Kantonsschule Wil SG. Seine Forschungsinteressen liegen insbesondere in der Erkenntnistheorie, Sprachphilosophie und Feministischen Philosophie.

SRF: Frauen haben den Feminismus – brauchen Männer eine ähnliche Bewegung, eine Art Maskulinismus?

Ich glaube nicht. Was es stattdessen braucht, ist ein richtiges Verständnis dessen, was «Feminismus» bedeutet. Feminismus ist nur ein Aspekt eines allgemeineren Gerechtigkeitsgedankens. Und der gilt natürlich, wenn man nicht in Konsistenzprobleme geraten will, auch für die Männer.

Sexistische Strukturen betreffen natürlich auch Männer.
Autor: Dominique Kuenzle

Dass diese Bewegung nun «Feminismus» heisst, bedeutet nur, dass der viel stärkeren Diskriminierung von Frauen gegenüber Männern Priorität in der Umsetzung des Gerechtigkeitsgedankens eingeräumt wird.

Sollte sich ein Mann auch aus Eigeninteresse für feministische Anliegen einsetzen?

Sexistische Strukturen betreffen natürlich auch Männer. Würden diese Strukturen wegfallen, würde auch der Druck auf die Männer nachlassen, bestimmten Lebensentwürfen zu folgen oder sich auf eine bestimmte Art und Weise zu verhalten.

So würden Männer wohl beispielsweise einfacher und früher Hilfe holen bei psychischen Problemen. Denn als Mann kann es schwierig sein, seinem Umfeld schon nur mitzuteilen, dass man Hilfe braucht, weil Hilfe zu benötigen schnell in Konflikt steht mit gewissen Vorstellungen von Männlichkeit.

Zudem gäbe es in einer idealen, vollständig gerechten Gesellschaft beispielsweise auch keinen obligatorischen Wehrdienst nur für Männer mehr.

Soll man als Mann beim Frauenstreik also dabei sein – oder stiehlt man so den Frauen die Show?

Das ist eine komplizierte Frage. Als Mann sollte man sich selbstverständlich und wo auch immer möglich für feministische Anliegen einsetzen, da es bei diesen um Gerechtigkeit geht. Das schliesst aber nicht aus, dass man sich gerade bei solch einem Anlass nicht explizit sichtbar macht, sondern die Veranstaltung vielleicht besser im Hintergrund unterstützt.

Sexistische Vorstellungen gegenüber Frauen sind immer wieder grosses Thema, Sexismus gegen Männer hingegen kaum. Hat der Feminismus hier versagt?

Ich denke nicht. Es gibt sowohl öffentliche als auch private Diskussionen und ganz viel Literatur zu diesen Themen. Wenn man sich Mühe gibt, Rollenbilder und Stereotype zu erkennen und als solche zu identifizieren, dann ist der Schritt von der Erkenntnis dieser Rollenbilder bei den Frauen zu der Erkenntnis solcher Rollenbilder bei den Männern auch nicht gross.

Deshalb würde ich in diesem Fall nicht sagen, dass der Feminismus versagt hat, sondern, dass der Ball einfach bei denen liegt, die sich mit fadenscheinigen Argumenten einer kritischen Reflexion verweigern. Nicht nur, aber vor allem wir Männer müssen uns einfach endlich kritisch hinterfragen.

Das Gespräch führte Gina Messerli.

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