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Das Gesicht der Schlacht von Marignano
Aus Zeitblende vom 27.08.2022. Bild: imago/Artokoloro
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Matthäus Schiner Vom Walliser Ziegenhirten zum mächtigen Kardinal

Vor 500 Jahren legte Matthäus Schiner eine steile Karriere hin und prägte die Geschichte Europas mit. Doch nach seinem Tod 1522 wird der Walliser fast vergessen. Ein Blick zurück auf ein bewegtes Leben.

Das strategische Geschick, das rhetorische Talent und der ganze Auftritt des Wallisers Matthäus Schiner müssen beeindruckend gewesen sein. Dem ehemaligen Bauernjungen gelingt es, sich in den Dienst der globalen Macht des Papstes zu stellen. Er wird Kardinal, Diplomat und Heeresführer. Er macht sich unverzichtbar, erklärt Volker Reinhardt, Professor für allgemeine und Schweizer Geschichte an der Universität Fribourg.

Legende zur Geburt

Fast hätte es diese Karriere gar nicht gegeben. Geboren um 1465 in Mühlebach bei Ernen im Wallis, hängt das Schicksal des Neugeborenen an einem seidenen Faden. Er habe nicht geatmet. Erst als ihm sein Onkel, Pfarrer Niklaus Schiner, Rauch oder vielleicht auch einfach schlechten Atem ins Gesicht gehaucht habe, sei er zum Leben erwacht. So die Legende.

ein altes Bauernhaus
Legende: Bescheidene Herkunft: Das Geburtshaus von Matthäus Schiner in Mühlebach ist ein altes Bauernhaus. SRF / Karin Britsch

Matthäus hütet Ziegen, träumt von der weiten Welt. Onkel Niklaus, der später auch Bischof von Sitten wird, sieht das Talent des heranwachsenden, wissbegierigen Knaben. Er fördert ihn, bringt ihm Lesen und Schreiben bei und vermittelt ihn an die bischöfliche Schule von Sitten. Er unterstützt auch sein Studium im italienischen Como, lenkt ihn in die kirchliche Laufbahn. 1489 wird er zum Priester geweiht.

Steile Karriere zum Fürstbischof

Bereits zehn Jahre später der Karrieresprung: Matthäus Schiner wird Bischof von Sitten. Für diesen rasanten Aufstieg seien die familiären Bande entscheidend gewesen, sagt Historiker Volker Reinhardt: «Ohne einen Helfer am Nest kaum vorstellbar.»

Der neue Bischof greift selbstbewusst in die europäische Politik ein. Insbesondere die Franzosen will er vom Wallis fernhalten.

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Matthäus Schiner: einer der grössten Machtmenschen seiner Zeit
Aus DOK vom 10.09.2015.
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Er verlängert den Friedensvertrag mit dem Herzogtum Savoyen, bringt Ruhe ins Rhonetal. Auch zu den Eidgenossen pflegt er gute Kontakte. Es ist die Zeit der Burgunderkriege, die Eidgenossen eilen von Sieg zu Sieg, stehen für kurze Zeit sogar im Begriff, eine europäische Grossmacht zu werden. «Die eidgenössischen Söldner gelten als die besten Kämpfer ihrer Zeit», betont Volker Reinhardt. Sie sind äusserst diszipliniert, leben nach einem rigorosen Ehrenkodex, fliehen gilt als Schmach.

Pendeln zwischen Sitten und Rom

Bischof Schiner nutzt seine Kontakte geschickt, zeigt ausserordentliche strategische Fähigkeiten. Rom wird auf ihn aufmerksam. 1506 kann er die Eidgenossen für ein Bündnis mit Papst Julius II. gewinnen. Die Verbindung wird zu einer «Win-win-Situation», sagt Historiker Reinhardt. Der Papst erhält die Unterstützung der Eidgenossen, Schiner wird Kardinal. Seine einflussreiche Position entspricht nun dem weltlichen Rang eines Herzogs.

Der Papst schätzt den ehrgeizigen Walliser als Sachwalter, Vermittler und als Kriegsfürst. 1512 kann Kardinal Schiner mit den eidgenössischen Söldnern die verhassten Franzosen vorübergehend aus der italienischen Lombardei vertreiben. Drei Jahre gehört das Gebiet um Mailand den Eidgenossen als eine Art Protektorat – Kardinal Schiner verwaltet es vor Ort. Auch eine Ausweitung des besetzten Gebiets liegt im Rahmen des Möglichen.

Marignano als Wendepunkt

Aber die Eidgenossen haben eigene Interessen, eine gemeinsame Politik wird schwieriger. Keine guten Aussichten für einen neuen Kampf. Ganz grundsätzlich sei die strategische und taktische Position vor der Schlacht von Marignano 1515 ungünstig gewesen, sagt Volker Reinhardt.

Es sei dann vor allem der Ehrenkodex der einfachen Söldner gewesen, der die Schlacht erzwungen habe. Mit desaströsem Ausgang. Es wird ein fürchterliches Gemetzel: «Wir wissen heute, dass sehr viele Gefallene erst 14 oder 15 Jahre alt waren», so Historiker Reinhardt. Junge Eidgenossen, der Feuerkraft der französischen Artillerie ausgeliefert.

ein schwarz-weiss Gemälde des Kriegs
Legende: Urs Graf zeichnete im Jahr 1521 die verheerende Schlacht von Marignano, wo rund 10'000 Eidgenossen fielen. Wikimedia Commons

Damit nehmen die Grossmachtfantasien der Eidgenossen ein abruptes Ende. Marignano sollte man aber nicht überbewerten, sagt Reinhardt. Schweizer Söldner hätten in fremden Diensten auch danach noch Erfolge erzielt. Aber – mit etwas Fantasie – könne man den Beginn der eidgenössischen Neutralität auf diesen Zeitpunkt datieren.

Begegnung mit Zwingli und Luther

Für Kardinal Matthäus Schiner ist diese Niederlage ein Wendepunkt. Er setzt seine glänzende Karriere zwar fort, wirkt aber nur noch ausserhalb des Wallis. Sein ehemaliger Förderer und nun Erzfeind Georg Supersaxo macht in der Heimat Stimmung, Schiner flieht nach Zürich und wird das Wallis nie wiedersehen.

In Zürich trifft er auf einen etwas anderen Zeitgeist. Die Reformation liegt in der Luft. Schiner freundet sich mit dem jungen Theologen Huldrych Zwingli an, die beiden sind gegenseitig des Lobes voll. Da aber sei Zwingli noch nicht der Reformator gewesen, betont Volker Reinhardt. Den hätte Schiner kaum unterstützt.

ein schwarz-weiss Gemälde von Zwingli
Legende: So kannte Schiner Huldrych Zwingli nicht: Als aufmüpfigen und Leute hinter sich scharenden Reformator. KEYSTONE/PHOTOPRESS-ARCHIV

Kardinal Matthäus Schiner muss ein Gespür für die Strömungen der Zeit gehabt haben, er steht mit den Grossen seiner Zeit in Kontakt, auch mit Reformator Martin Luther. Schiner sieht in ihm vor allem ein politisches Phänomen. «Dass mit ihm eine ganz neue Kirche in der Entstehung ist, hat Schiner nicht gesehen», sagt Volker Reinhardt.

Der eidgenössische Fast-Papst

1521 hat Kardinal Schiner einen weiteren wichtigen Auftritt: Nach dem Tod von Papst Leo X. eilt er nach Rom, ist Teil des Konklaves. Schiner wollte selbst Oberhaupt der katholischen Kirche werden, erklärt Reinhardt, der die Geschichte der Päpste seit Jahrzehnten erforscht.

Aber die Eidgenossen – und zu denen wird Schiner als Walliser gezählt – gelten als wilde Naturmenschen. Man sieht in ihnen grosse Kämpfer, die Fähigkeit zu regieren spricht man ihnen hingegen ab. Einen «Schweizer» zum Papst zu machen, habe die Bildungsarroganz der humanistisch geprägten Italiener nicht zugelassen, sagt Reinhardt. Gewählt wird schliesslich ein unpolitischer Aussenseiter, der Niederländer Hadrian VI.

eine Statue vor einem Bauernhaus
Legende: Im Wallis hat man ihn nicht vergessen: Eine Statue Schiners steht auf dem Dorfplatz von Ernen. SRF / Karin Britsch

Der grosse Stratege und Ränkeschmieder Schiner stirbt noch im selben Jahr – am 1. Oktober 1522, wohl an der Pest, vielleicht auch an Syphilis.

Ausserhalb des Wallis wird er vergessen. Verantwortlich dafür waren vermutlich die Reformation und die protestantisch geprägte Geschichtsschreibung.

Da es nur sehr wenige Schweizer Kardinäle mit einer solchen Bedeutung gegeben habe, gelte es diesen «globalen Schiner» nun wiederzuentdecken, so Historiker Reinhardt.

Radio SRF 2 Kultur, Zeitblende, 05.09.2022, 9:03 Uhr.

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