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Meditation als Muss Meditation to go: Bringt's das?

Meditation ist im Trend – und für viele ein zusätzliches To-Do auf den schon vollen Leistungslisten. Macht Meditation so Sinn? Zen-Meisterin Anna Gamma über die Sehnsucht nach Stille in einer lauten Welt.

Anna Gamma

Anna Gamma

Zen-Meisterin

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Anna Gamma studierte Psychologie und Philosophie, entwickelt und leitet Leadershiptrainings und begleitet Führungskräfte als Coach und Gesprächspartnerin. Sie ist autorisierte Zen-Meisterin, leitet das Institut Zen&Leadership in Luzern und arbeitet als spirituelle Lehrerin im In- und Ausland. Gamma ist Autorin mehrerer Bücher.

SRF: Was ist Meditation für Sie?

Anna Gamma: Sie ist wie mein tägliches Brot. Seit 40 Jahren meditiere ich mehr oder weniger täglich. Aber so, wie man auch ab und zu auf das Brot verzichtet, muss ich auch nicht stur jeden Tag sitzen.

Doch diese Stille, die ich in der Meditation erfahre, bedeutet mir sehr viel. Sie ist essentiell für mein Leben.

Audio
Meditation to go
aus Perspektiven vom 30.09.2018. Bild: SRF / Sébastien Thibault
abspielen. Laufzeit 29 Minuten 28 Sekunden.

Es gibt Millionen von Meditations-Büchern und zahlreiche Apps: Was halten Sie von diesem Trend?

Ich finde das wunderbar! Für mich ist das ein Ausdruck eines menschlichen Grundbedürfnisses, wir alle haben Sehnsucht nach Stille. Doch dieses Bedürfnis wird nicht mehr genügend durch die Kirchen oder traditionellen Religionen abgedeckt.

Deshalb suchen sich die Leute neue Wege, neue Zugänge. Wir brauchen einen Raum, in dem wir einfach sein können – und nichts leisten müssen.

Spirituelle Intelligenz verträgt sich nicht mit Druck.

Nichts leisten – das ist das Stichwort. Wir arbeiten viel, führen To-Do-Listen. Auf diesen Listen steht dann auch noch Meditation. Ich kenne auch Menschen, die Whiteboards in ihren Wohnungen haben, auf denen Sätze stehen wie «jeden Tag 30 Minuten meditieren!». Funktioniert das so?

Ich unterscheide zwischen verschiedenen Formen der Intelligenz. Da gibt es die mentale, die körperliche, die emotionale und die spirituelle Intelligenz. Jede Meditationspraxis spricht die spirituelle Intelligenz an. Diese verträgt sich gar nicht mit Druck.

Ganz anders ist das bei der uns vertrauten mentalen Intelligenz: Die können wir gut mit Drill trainieren. Auf der spirituellen Ebene ist das anders: Vielleicht geht es ein oder zwei Tage, einen Retreat lang. Doch der Effekt hält nicht.

Es ist also wenig nachhaltig, wenn wir der Meditationspraxis mit To-Do-Listen begegnen?

Es kann schon hilfreich sein, wenn man sich zum Beispiel eine Erinnerung an den Spiegel hängt. Einen Zettel etwa, auf dem «Atme fünfmal tief durch» steht.

Meine Erfahrung mit meinen Schülerinnen und Schülern ist aber, dass das vielleicht vier Tage wirkt, aber dann gewöhnt man sich daran und sieht den Zettel gar nicht mehr.

Dann können auch noch die ganzen Über-Ich-Geschichten dazukommen. Zum Beispiel «Du bist gut, wenn du das durchziehst» oder Ähnliches. Das funktioniert auf Dauer nicht.

Manche Meditations-Apps zielen jedoch genau auf das ab: Man wird belohnt, wenn man so und so viele Tage am Stück «durchgezogen» hat. Verpasst man dann einen Tag, kommen schnell Gedanken auf wie: «Ich habe es nicht geschafft, ich habe versagt.»

Es gibt natürlich Gefahren, wenn solche Belohnungssysteme eingebaut werden. Denn dann ist der Grundrhythmus eingebaut, in dem wir sowieso schon leben: Leiste und du bist gut!

Doch die Meditation lässt einen eine ganz und gar andere Erfahrung machen: Es ist wunderbar, dass es dich gibt, noch vor jeder Leistung.

Ein Mönch meditiert im Wasser.
Legende: Abtauchen in einer andere Welt: Meditation hilft, zu sich zu kommen. Keystone

Das ist ein universelles Grundbedürfnis der Menschen. Es geht um das Sein, nicht um das Leisten. In der Meditation können wir spüren, wie das Leben durch uns lebt, wie wir getragen sind von einem kosmischen Strom von Leben.

Das klingt vielleicht etwas schräg, es macht nur in der direkten Erfahrung Sinn. Hat man das aber genügend oft erlebt – also geübt –, kann man Stille auch mitten im Trubel erfahren. Magisch.

Manchmal ist es schwer, sich selber zu begegnen.

Wie kommt man denn vom mentalen Leisten zu dieser Erfahrung? Wie kann diese Brücke geschlagen werden?

Machen können wir da nicht wirklich etwas. Es ist mehr ein Geschehenlassen. Und da muss auch gesagt werden: Nicht jede und jeder will das.

Ich bin ja auch Psychologin und habe grosses Verständnis für jene, die eigentlich eine Therapie bräuchten, aber keine machen wollen. Weil es einfach manchmal schwer ist, sich selber zu begegnen.

Denn wenn wir von der mentalen Intelligenz in die emotionale oder spirituelle kommen, dann kommen wir ins Fühlen. Und spüren all die unangenehmen, schmerzhaften Sachen in uns – die Narben, ja oft auch eine grosse Wut.

Jene Seiten, die nicht glänzen. Die nicht zum Bild von uns passen, das wir anderen oder auch uns selber präsentieren. Es braucht viel Mut, überhaupt dranzubleiben. Da hilft es, Lehrerinnen oder Lehrer zu haben, die zeigen: Du bist nicht alleine mit dieser Erfahrung.

Woher haben Sie denn diesen Mut genommen, als Sie sich vor 40 Jahren auf diesen Weg begaben?

Ich habe zunächst auf einer rein körperlichen Ebene angefangen: Ich war beruflich sehr herausgefordert, konnte nicht mehr richtig schlafen und suchte etwas, was mich entspannte.

Meditation hat mir so gutgetan – auf allen Ebenen. Es war wie ein Heimkommen. Und ich erinnerte mich zurück an meinen ersten Meditationslehrer, meinen Grossvater. Er war Bergbauer und ich verbrachte oft meine Ferien bei ihm.

Wenn der Stall abends gemacht war, sassen wir oft davor, schweigend. Wir schauten in die Weite der Berge und die Zeit fiel zusammen.

Das Gespräch führte Deborah Sutter.

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