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Meditation mit dem Zen-Meister Niklaus Brantschen: «Die Stille bringt uns Freiheit»

Niklaus Brantschen lässt sich durch nichts und niemanden aus der Ruhe bringen. Im Zen-Meditationsraum
im Lasalle Haus in Bad Schönbrunn erklärt der Zen-Meister, wie wir durch Meditieren die Stille finden und aus dem Nichts etwas Neues schaffen können.

Niklaus Brantschen

Schweizer Jesuit und Zen-Meister

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Niklaus Brantschen ist Zen-Meister. Er ist 1937 in Randa im Mattertal geboren und entschied sich schon früh für den Jesuitenorden. Brantschen studierte erst in Deutschland, dann in Japan, wo er den Zen-Buddhismus kennenlernt. Seit über 50 Jahren verbindet er westliche und östliche Spiritualität.

Das vergangene Corona-Jahr hat uns Stille und Innerlichkeit auferlegt. Im Grunde genommen wäre das doch eine extrem gute Zeit, um Zen zu üben, oder?

Sie sagen mit Recht: Im Grunde genommen! Für viele ist diese auferlegte Auszeit eine Chance, dass sie weniger reisen, mehr Zeit haben für die Pflege der Innerlichkeit und damit mehr zu sich finden. Für andere ist diese Isolation sehr schwierig. Die Unsicherheit und die Probleme, die damit verbunden sind, sind etwa häuslicher oder finanzieller Art.

Es gibt doch die Stille, die einen reicher macht, zum Beispiel in der Meditation. Und es gibt eine Stille, die mit Einsamkeit verbunden wird.

Ja, es gibt verschiedene Qualitäten der Stille. Ich würde unterscheiden zwischen Vereinsamung und Stille. Das ist nicht dasselbe. Alleinsein heisst nicht, bei sich sein; es kann zur Vereinsamung führen. Und es gibt verschiedene Tiefen der Stille. Es gibt sozusagen eine Stille hinter der Stille, die wir nicht begreifen und nicht erfassen können.

Die begreift und umfasst uns, sie ist grösser als wir. Eine Dimension, in die wir im Schweigen hineinreichen. Dort ist Einheit: kein Kommen und kein Gehen, kein Vorher und kein Nachher, Raum-Freiheit und Zeit-Freiheit oder eben auch Stille.

Dann geht es Ihnen letztlich also um die Stille hinter der Stille?

Sozusagen.

Wie haben Sie denn für sich selber die Stille als Schatz entdeckt?

Es braucht Zeit. Aber ich darf sagen, ich hatte eine gewisse Affinität zur Stille durch meine Herkunft in den Bergen.

Das Meditieren lässt das äussere Tun vorübergehend los, geht in die absolute Freiheit; in das Nichts-Tun, auch Nichts-Sein. Aus dieser Leere schöpfen wir.
Autor: Niklaus Brantschen Zen-Meister

Sie kommen ja aus dem Oberwallis, dem Dorf Randa im Mattertal.

Ja. Wenn man sich dort bewegen will, kann man nur die Hänge hoch. Und ich bin viel allein oder mit anderen unterwegs gewesen, habe Wanderungen gemacht. Da habe ich eine erste Affinität zur Stille bekommen.

Die Stille ist im Zen-Buddhismus auch wichtig, weil die Meditationsform ohne Gedanken, ohne Worte, ohne Bilder ist. Es geht um ein Nichts. Heisst das, dass die Sprache uns vor der Versenkung hindert?

Die Sprache nicht unbedingt, aber das Gerede und das Getue und das Gehabe. Wenn ich darauf aus bin, ständig zu Palavern, etwas zu tun oder zu haben, dann komme ich keinen Schritt weiter. Das Meditieren lässt dieses äussere Tun vorübergehend los, geht in die absolute Freiheit; in das Nichts-Tun, auch Nichts-Sein. Und aus dieser Leere, wie wir im Zen sagen, schöpfen wir. Aus dem Nichts kommt etwas Neues.

Ich habe mich wegen dieser verschiedenen Qualitäten der Stille gefragt, was Sie lieber mögen: Die Stille des frühen Morgens oder die Stille der Nacht?

Interessant, das habe ich mich nie gefragt. Beides hat seine Qualitäten. In der Früh wenn ich aufwache und die Vögel höre, dann stört das diese Stille nicht, sondern unterstreicht sie sozusagen. Und der Abend in der Dämmerung, wenn der Tag hinter mir liegt, das ist auch okay. Stille, wenn sie tief genug ist, ist an keine Tages- und keine Nachtzeit gebunden.

Wir empfinden etwas erst als Lärm, wenn es hastig und unruhig ist.
Autor: Niklaus Brantschen Zen-Meister

Das heisst aber: Nur der Mensch macht Lärm. Die Tiere nicht.

Sehr gut gesagt. Ich denke, die Tiere bewegen sich, machen Geräusche. Pfeifen, Knacken,  das ist nicht Lärm. Lärm entsteht, wenn wir etwas tun, was nicht unserem Innersten entspricht. Wenn wir herumwursteln, hantieren. Aber ein ruhiges Arbeiten bricht die Stille nicht.

Wenn ich hier im Haus meditiere und es wird das Haus gereinigt, dann hört man einen Besen irgendwo an eine Wand tippen. Das gehört zum Tagesablauf. Wir empfinden etwas erst als Lärm, wenn es hastig und unruhig ist.

Das Interview ist ein gekürzter und bearbeiteter Auszug aus dem Gespräch, das Olivia Röllin in der «Sternstunde Religion» führte.

SRF 1, Sternstunde Religion, 18.4.2021, 10:00 Uhr ; 

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