Eine Videokonferenz jagt die nächste, die Kinder wollen essen und der Nachbar poltert zu einer YouTube-Danceparty: Nicht nur wer im Homeoffice arbeitet, kennt die momentanen Belastungsproben.
Diesen Strapazen könne man durchaus entfliehen – indem man zuerst einmal tief durchatmet, sagt die Psychologin und Zen-Meisterin Anna Gamma. Sie erklärt, wie man beim Meditieren nicht nur sich selbst helfen, sondern auch solidarisch sein kann.
SRF: Sie sind nicht nur als Privatperson von der Krise betroffen, sondern auch als Unternehmerin. Wie gehen Sie mit der Situation um?
Anna Gamma: Wir haben das Institut zugemacht, bevor der Bundesrat dazu aufrief. Das ist für mich eine erste wichtige Reaktion in dieser Corona-Krise: Ich bin bemüht darum, proaktiv zu sein und nicht zu warten, bis der Befehl von oben kommt. Es hilft, Selbstachtung zu bewahren und angesichts der Widerstände noch selber zu entscheiden.
Viele arbeiten nun im Homeoffice und müssen sich gleichzeitig um die Kinder kümmern. Da ist Stress vorprogrammiert. Welche Reaktionen auf diese Situation sind Ihnen in den letzen Wochen aufgefallen?
Ich finde es sehr spannend, dass Leute jetzt wieder anfangen zu beten. Die stille Praxis rückt in den Fokus. Ebenso spielen Eltern wieder vemehrt mit ihren Kindern.
In der Krise ist es wichtig, proaktiv zu sein.
Problematisch ist, wenn beide Elternteile in der kleinen Wohnung im Homeoffice arbeiten. Studien aus der Sozialpsychologie zeigen, dass die Aggressivität steigt, je kleiner der Radius ist, in dem man sich bewegen kann.
Können Achtsamkeit und Meditation helfen?
Wenn man dies vorher nicht geübt hat, ist es relativ schwierig in der Krise mit Meditation zu beginnen. Trotzdem rate ich allen es zu versuchen: Es gibt einfache Meditationen, die man auf YouTube nachhören kann, etwa die «Berg-Meditation» .
Man stellt sich einen bekannten Berg vor, auf den man vielleicht schon einmal gewandert ist, und verbindet sich mit dessen Stabilität, Schönheit und Würde – versucht also sozusagen selbst zum Berg zu werden. Das hilft, um in turbulenten Zeiten gelassen zu bleiben.
Hilft Meditation, um das Wesentliche im Leben zu sehen?
Definitiv! Ich beobachte bei mir selbst, wie ich mich an den täglichen Rhythmus gewöhnt habe: aufstehen, schnell frühstücken, auf den Zug, zur Arbeit und wieder nach Hause. Dieser Rhythmus wird jetzt gestört und wir müssen uns an anderen Abläufen orientieren.
Sich auf seinen eigenen Atem zu konzentrieren, ist die beste Notfallmedizin.
Ein uns vertrauter Rhythmus ist der eigene Atem, der ständig kommt und geht. Wenn wir uns diesem Rhythmus anvertrauen, öffnen wir uns für das Leben im Jetzt.
Übungen mit unserem eigenen Atem helfen uns zu sehen, was wesentlich ist. Wenn wir das zulassen, erfahren wir mit der Zeit, dass wir selber wesentlich werden. Für mich ist die Aufmerksamkeit auf den Atem wie Notfallmedizin.
Kann beim Meditieren auch etwas für das Gemeinwohl tun?
Ich habe während meiner Ausbildung gelernt, dass wir stellvertretend für Andere da sein können. Wenn wir täglich miteinander meditieren, verbinden wir uns mit den Menschen in Not.
Menschen in Flüchtlingslagern und in den Slums sind am meisten bedroht von der Corona-Krise, weil sie sich nicht schützen können. Mir hilft es für diese Menschen zu beten und so zu realisieren, wie sich unsere Welt entwickelt.
Das Gespräch führte Norbert Bischofberger.