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#MeToo-Welle in der französischen Filmbranche
Aus Tagesschau vom 18.02.2024.
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#MeToo in Frankreich Fall Godrèche: Der Mythos der Muse verschleiert ein Machtsystem

Massive Vorwürfe gegen den Filmregisseur Benoît Jacquot erschüttern Frankreichs Kulturszene. Die Schauspielerin Judith Godrèche hat ihn wegen Vergewaltigung angeklagt. Ein Fall, der Frankreich verändert?

Was sind die Vorwürfe? Die Schauspielerin und Autorin Judith Godrèche hat am 6. Februar Klage gegen den Regisseur Benoît Jacquot eingereicht. Der Vorwurf: Vergewaltigung Minderjähriger. Auch gegen den Regisseur Jacques Doillon hat sie Anklage erhoben. Er soll sie sexuell belästigt haben, als sie 15 war.  Er bestreitet die Vorwürfe. In beiden Fällen hat die Staatsanwaltschaft Ermittlungen eingeleitet. 

Was sind die Hintergründe? Benoît Jacquot verleugnet die Beziehung mit Godrèche nicht – im Gegenteil. Er beteuert, dass es Liebe gewesen sei, die auf gegenseitiger Einwilligung beruht habe. Godrèche, die auf mehreren Kanälen ihre Sicht auf die Ereignisse verteidigt, nimmt unter anderem in Form eines Briefs an ihre Tochter Stellung: «Ich habe meine Einwilligung nie gegeben. Nie.» Als Godrèche 14 Jahre alt ist, castet sie Regisseur Jacquot, damals 39, für einen Film. Die beiden beginnen eine Beziehung. Jacquot verlangt von ihr totale Hingabe. Gegenüber dem Magazin «Les Inrockuptibles» sagt er: «Ich gebe ihr den Film, und sie gibt sich dafür ganz und gar, in jeder Hinsicht, die man sich nur ausdenken mag.»  

Benoît Jacquot im Portrait
Legende: #MeToo in Frankreich: Sie war 14, er war 39. Der heute 77-Jährige wird mit schweren Vorwürfen konfrontiert. EPA/PHILIPP GUELLAND

Jacquot, so SRF-Frankreich-Korrespondent Daniel Voll, habe sich mehrmals ähnlich geäussert. Insbesondere in einem Interview mit dem «Figaro» sagte er, er könne nur Filme mit Frauen machen, wenn er in sie verliebt sei. Aussagen, die keinen Skandal auslösten. «Offenbar sind solche Aussagen einfach nur zur Kenntnis genommen worden», so Voll. Godrèches Fall scheint Teil eines «Räuber-Beute-Systems» zu sein, wie «Le Monde» titelt. In einem Artikel melden sich mehrere Frauen zu Wort, die angeben, von Jacquot missbraucht worden zu sein. 

Gelten in Frankreich andere Regeln für die Kunst? Frankreich gilt als Land der Leidenschaft, in der auch das Kulturschaffen vermeintlich keine Grenzen kennt. Korrespondent Daniel Voll glaubt jedoch, «einen Wandel in der Gesellschaft» feststellen zu können. Bezeichnendes Beispiel: der Skandal um den Autor Gabriel Matzneff. In den 1970er-Jahren wurde er für seine Texte, in denen er über sexuelle Vorlieben mit Minderjährigen fantasiert, gefeiert. 2000 kam ihm seine Kunst in die Quere: Die Staatsanwaltschaft leitete Ermittlungen wegen sexueller Belästigung von Minderjährigen ein. Anlass war die Autobiografie «Die Einwilligung» der Publizistin Vanessa Springora, in der sie die Beziehung zu Matzneff schildert. Matzneff, so Voll, sei seither öffentlich geächtet. 

Auch die Diskussion rund um die Vorwürfe gegen Gérard Depardieu würde zeigen, dass sich die Debatte ändere, so Voll. Ein offener Brief in «Le Figaro», in dem Filmkolleginnen für Depardieu einstanden, wurde in Frankreich heftig debattiert – und kritisiert. 

Muss Frankreich künftig ohne seine «Musen» auskommen? Von einer «Guillotine für die Straffreiheit in der französischen Kulturszene» spricht der «Blick» in der Romandie. Vorbei sei die Zeit, in der «créateurs» (Kreative) auch «prédateurs» (Raubtiere) sein dürfen. In einem Artikel von «Télérama», der in der französischen Filmszene grundsätzlich ein Missbrauchssystem feststellt, sagt die Schauspielerin Clotilde Hesme: «Der Mythos der Muse und des Pygmalion will vertuschen, dass man die Schauspielerin als Kurtisane wie im 19. Jahrhundert sieht.» Es sei Zeit, diesen Mythos abzuschaffen.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 12.2.2024, 17:10 Uhr.

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