- Die Ausstellung «Magnet Basel» hat Dossiers von Migranten aus dem Basler Staatsarchiv aufgearbeitet.
- Im Staatsarchiv liegen über 500'000 Dossiers, die die Fremdenpolizei seit ihrer Gründung 1917 verfasste.
- Die Dossiers sind ein Spiegel der Weltgeschichte und zeigen, wie viel Ermessensspielraum die Fremdenpolizei früher hatte.
500'000 mal Schicksal
Angenommen, ausgewiesen, bewilligt, geduldet, abgelehnt: 1917 gründete die Eidgenossenschaft die Fremdenpolizei. Von da an entscheidet sie, wer in der Schweiz bleiben darf. Und wer nicht.
Die Korrespondenz und die Entscheide der Fremdenpolizei wurden teilweise archiviert. Die grösste und einzige lückenlose Sammlung der Schweiz befindet sich in Basel.
500'000 Dossiers haben sich bis heute im Basler Staatsarchiv angesammelt. Ein immenser historischer Schatz. Die Ausstellung «Magnet Basel – Migration im Dreiländereck» hat 32 Dossiers exemplarisch aufgearbeitet.
Die Dossiers sind tragische, heitere, skurrile Lebensgeschichten von Betrügern, Künstlerinnen, Bordellbesitzern, Dienstmädchen, Fabrikanten, Bäuerinnen und vielen mehr. «Es werden Personen sichtbar, die sonst historisch auf keine andere Weise greifbar würden», sagt die Staatsarchivarin Esther Baur.
«Nazi-Putzete» in Basel
Erzählt wird zum Beispiel die Geschichte des Ehepaars Lipp. Die Lipps lebten in Basel und waren bekennende Nazis. 1945 wurden sie bei der sogenannten «Nazi-Putzete» nach Deutschland ausgewiesen. Dagegen wehrten sie sich heftig.
Die Ausstellung hat Suchtpotential. Sie erzählt die unglaublichsten Geschichten von Menschen, die sich auf unterschiedlichste Art und Weise ihren Weg suchen und suchten.
«Liegen lassen, abwarten, mal sehen»
Wirklich erstmals interessiert für die Dossiers hat sich Publizist Gabriel Heim als er nach den Spuren seiner jüdischen Mutter in Basel suchte: «Da begriff ich, dass es viele dieser Akten gibt. Das war der Anfang der Recherche zu diesem Projekt.»
Schockiert und fasziniert verfolgte er den Umgang der Behörden mit den Immigrantinnen und Immigranten. Bespitzelung und Schikane, aber auch Güte und Hilfe waren an der Tagesordnung. Früher – vor der Digitalisierung und vor formalisierten Abläufen – hatten die Behörden einen grossen Ermessensspielraum.
«Es gibt viele Vermerke: liegen lassen, abwarten, mal sehen, wie sich die Sache entwickelt. Damit entwickelte sich auch eine zwischenmenschliche Beziehung», erzählt Heim. Die Akten zeigen: Ansehen und die Lebensumstände spielten eine wichtige Rolle für den jeweiligen Entscheid.
Archiv spiegelt Weltkriege und -geschichte
Gabriel Heim rannte bei der Staatsarchivarin Esther Baur mit seiner Begeisterung für die Dossieres offene Türen ein. Das Staatsarchiv gehöre schliesslich der Bevölkerung, sagt sie.
In den Akten spiegelt sich die Weltgeschichte vom 1. Weltkrieg über die Russische Revolution und den Ungarnaufstand bis heute. Kluge und weniger kluge Menschen, schillernde, betrügerische, kämpferische oder hilflose stiessen mal auf liberale, mal auf weniger liberale Politik.
Manche seien zwischen Stuhl und Bank gefallen, wenn Kanton und Bund sich wieder einmal nicht einig waren, erzählt der Ausstellungsmacher Christoph Stratenwerth: «Es war ein Hin und Her zwischen der Fremdenpolizei, Bern, dem Steueramt, dem Konkursamt, der Armenpflege, den Vermietern und den Detektiven, die Berichte schrieben.»
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 28. April 2017, 7.20 Uhr.