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Mikrokosmos Megamall Die bizarre Welt der Konsumtempel

Absurd bis abgründig: Für den Reportageband «Verkaufte Welt» besuchte die Schweizer Journalistin Rinny Gremaud die grössten Shoppingmalls der Welt.

Sie sind laut und bunt, ihre Dimensionen übertrieben: Megamalls irritieren. Schöngeistern gelten sie als trostlose Konsumtempel, gefüllt mit den immergleichen Produkten. Kein Wunder, gibt es bisher kaum Literatur dazu.

Nur: Weshalb eigentlich? In Einkaufszentren zeigt sich schliesslich die Gesellschaft im Kleinen. Davon ist die Schweizer Journalistin Rinny Gremaud überzeugt.

Ayse Yavas
Legende: Fotografin Ayse Yavas. ©Ayse Yavas

Jagd nach Rekorden

Das war Grund genug für sie, eine Weltreise der anderen Art einzulegen – in Zeiten vor Corona versteht sich. Innerhalb von drei Wochen besuchte sie Konsumtempel auf vier Kontinenten. Die Tour war weit abwechslungsreicher und abgründiger als sie es selbst erwartet hatte. Ihre Erlebnisse hielt sie für den Reportagenband «Verkaufte Welt» fest.

Der Pool der «West Edmonton Mall» in Kanada.
Legende: Zum Schwimmen in die Shoppingmall: Der Pool der «West Edmonton Mall» in Kanada. imago images / All Canada Photos

In Kanada etwa fuhr die weit verstreut lebende Kundschaft bis zu neun Stunden, um in der «West Edmonton Mall» einzukaufen. Die lockt mit zahlreichen Rekorden.

Nicht nur die grösste Hallenachterbahn der Welt findet sich dort, sondern auch das grösste Wellenbad und die grösste Schwarzlicht-Minigolfanlage. Wie überall in Nordamerika sollen diese Attraktionen die rückläufigen Verkäufe ausgleichen.

Leerstehende Einkaufstempel

Anderswo standen die Megamalls dagegen halb leer. Etwa im Pekinger Modell-Viertel «Beijing Century City». Im Einkaufszentrum, das der Partei gehört, wimmelte es zwar von Angestellten. Die hatten aber kaum zu tun. Die Chinesen kauften lieber online ein, erfuhr Gremaud.

Dennoch wird in China munter weiter gebaut. Die Malls gelten als Ikonen des Fortschritts.

Einkaufstourismus extrem

Leer war auch die «grösste Mall Afrikas», die in Casablanca wie ein Raumschiff neben einem Elendsviertel steht. Internationale Gäste soll sie anziehen. Von denen war bei Grimauds Besuch jedoch weit und breit nichts zu sehen.

Die milliardenschwere Eigentümerin schien das kaum zu kümmern. Im Vordergrund steht das Prestige, nicht der Umsatz.

In Kuala Lumpur nimmt das Kopieren des westlichen Konsummodells noch bizarrere Ausmasse an: Alle paar hundert Meter stiess Gremaud auf eine neue Megamall. So brauchten die Touristen nicht lange zu Fuss zu gehen, erklärte ein Ladenbesitzer.

Zu fünft in einem Zimmer

Stets suchte Gremaud nach dem, was nicht ins offizielle Bild passt. Wie der Pekinger Trödelhändler, der Andenken an die Queen verkaufte, weil er am Tag ihrer Krönung auf die Welt gekommen war. Diese Begegnungen gehören zu den Höhepunkten des Buches.

Ein Blick in ein Shoppincenter mit wenigen Besuchern.
Legende: In der «Dubai Mall» leisten sich die einen Luxus, während andere zum Dumpinglohn schuften. imago images / Arabian Eye

Unter die Haut gehen die Gespräche der Journalistin mit denen, die den Laden am Laufen halten. Zum Beispiel die philippinische Einwanderin, die sich in Dubai mit fünf anderen ein Zimmer teilte.

Zehn Stunden pro Tag schuftete sie für einen Hungerlohn in einem Café in der «Dubai Mall». Ihr Kind hatte sie in der Heimat zurückgelassen. Trotzdem wusste sie zu Gremauds Erstaunen nur Gutes über ihre Arbeit zu berichten, so sehr hatte sie ihre Ausbeutung verinnerlicht.

Buchhinweis

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Rinny Gremaud: «Verkaufte Welt.» Übersetzt von Andrea Spingler. Edition Bücherlese 2020.

Mit leiser Ironie

Passagen wie diese wecken bei der Lektüre Empörung. Doch Gremaud prangert nicht an. Vielmehr protokolliert Gremaud mit neugieriger Distanz und leiser Ironie, was sie beobachtete – und deckt dadurch die Widersprüchlichkeiten der modernen Kommerz-Landschaften auf.

Ihre Reportagen eröffnen den Blick auf eine Welt, die man zu kennen glaubt und doch so noch nie gesehen hat.

Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 27.3.2020, 9:02 Uhr

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