Seit Jahrtausenden nutzen wir Heilkräuter, seit dem Mittelalter wird das Wissen um deren Wirkung festgehalten. Dieses Wissen kommt in Hausmitteln bis heute zum Einsatz und steht am Anfang der modernen Medizin.
Die Ethnobotanikerin Maja Dal Cero erforscht, wie Pflanzen einst und heute als Heilmittel genutzt werden. Sie hat den Kräutergarten des Klosters Sankt Georgen in Stein am Rhein gestaltet und weiss, gegen welche Leiden dort ein Kraut gewachsen ist: gegen Erkältungen und Halsschmerzen zum Beispiel. Und auch gegen Corona?
SRF: Welche Pflanzen wachsen in Ihrem Kräutergarten im Kloster Sankt Georgen?
Maja Dal Cero: Viele, die Sie vielleicht noch aus der Kindheit kennen: Salbei, Minze, Thymian, Kamille oder Frauenmantel. Das sind bis heute bekannte Hausmittel. Etwas weniger bekannt sind vielleicht der Muskatellersalbei oder die Eberraute.
Viele dieser Pflanzen stammen ursprünglich aus dem Mittelmeerraum. Wie kamen sie in die Schweiz?
Durch die Klöster. Einige Arten haben zwar schon die Römer eingeführt, aber das Wissen über die pharmakologische Wirkung von Pflanzen wurde dann im Mittelalter über die schriftlichen Überlieferungen der Klöster weitergegeben.
Dieses Wissen lehnt sich an die antiken Traditionen der griechischen und römischen Ärzte sowie der Ärzte aus dem Vorderen Orient an. Sie alle haben hauptsächlich Pflanzen aus dem Mittelmeergebiet verwendet, deshalb wurden diese dann nach Möglichkeit in den Klostergärten in Mitteleuropa angebaut.
Warum wachsen diese Pflanzen überhaupt bei uns?
Die Klostermauern fungieren als Wind- und Wetterschutz. Damit und mit der richtigen Pflege können auch Pflanzen gedeihen, die nördlich der Alpen nicht heimisch sind.
Heute «hilft» natürlich auch der Klimawandel mit, dass manche Pflanzen im Mittelland wachsen, die eigentlich ursprünglich hier nicht gewachsen sind.
Wenn wir als Kind entzündetes Zahnfleisch oder Aften im Mund hatten, haben wir Salbei gekaut. Das hilft!
Sehen Sie, eine prima Wirkung der Salbeiblätter.
Was wir auch jeden Winter bekommen haben, ist Echinacea. Das soll jetzt gegen Corona helfen?
Ob jemand persönlich gute Erfahrungen mit pflanzlichen Wirkstoffen erzielt oder ob man im komplexen Feld der Phytotherapie wissenschaftlich fundierte Aussagen machen möchte, sind zwei verschiedene Dinge.
Dass Wirkstoffe des Sonnenhuts – so heisst die Pflanzengattung, die aus Nordamerika stammt – bei Erkältung helfen können, ist gut belegt. Aber ob man aus ersten Reagenzglas-Ergebnissen am Ende therapeutische Empfehlungen ableiten kann, ist noch völlig unklar.
Eine antivirale Wirkung einiger ätherischer Öle ist gut dokumentiert, aber man weiss noch nicht, ob diese therapeutisch auch bei Covid-19 nützlich sein könnten.
Aber der Aussage «Salbei hilft gegen Halsschmerzen» können Sie zustimmen?
Klar, mit diesem Hausmittel mache ich auch immer wieder gute Erfahrungen. Es klappt aber nur, wenn man die Salbeiblätter richtig als Tee zubereitet und damit gurgelt. Dann können die Entzündungssymptome bei Halsweh rasch abklingen.
Es braucht also eine gewisse Fachkenntnis zur Zubereitung und Dosierung, damit man zum Beispiel Kamillenblüten bei Bauchweh oder Pfefferminzblätter bei Verdauungsschwierigkeiten wirkungsvoll einsetzen kann.
Wenn ich Heilpflanze höre, denke ich an Esoterik. Inwiefern ist die Wirkung von Heilpflanzen medizinisch verbrieft?
Die Nutzung der Pflanzen – nicht nur als Nahrung – sondern auch als Rohstoff für Heilmittel, ist so alt wie die Menschheit. Heilpflanzen bilden die Basis der Schulmedizin: Bis Mitte des 19. Jahrhunderts gab es nur pflanzliche Medikamente.
Inzwischen können einzelne Stoffe synthetisch hergestellt werden. Das klassische Beispiel hierzu ist die Salicylsäure, die als Ausgangsstoff für Aspirin diente. Sie wurde ursprünglich im Mädesüss oder der Weidenrinde entdeckt.
Uns steht gerade die Winterzeit mit ihren Erkältungen bevor. Was gibt der Kräutergarten zur Vorbeugung her?
Um die körpereigene Abwehr zu fördern, ist es wichtig, nicht nur an die typischen Kräuter zu denken, die ätherische Öle enthalten und fein duften. Sondern auch an jene, die bitter schmecken.
Wer selber Erkältungstee aus dem Garten machen möchte, könnte zum Beispiel stets ein bisschen Schafgarbe beimischen, denn die enthält auch Bitterstoffe.
Oder wer ein Gärtchen oder auch nur einen Balkon hat, kann Wermut ziehen und morgens ein Blatt Wermut kauen. Das weckt die Lebensgeister und hilft dabei, gut gestärkt durch die Winterzeit zu kommen.
Das Gespräch führte Christian Walther.