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Gesellschaft & Religion Mit Mut ins neue Jahr

Für das neue Jahr nimmt man sich gerne Grosses vor: Mehr Disziplin, weniger Stress, mehr Gelassenheit, weniger Kompromisse. Doch um neue Wege einzuschlagen, braucht es Mut. Diese Kardinaltugend will gelernt sein, meint die Philosophin Dagmar Borchers.

Gemäss einer Anekdote sollten Schülerinnen und Schüler als Maturitätsaufgabe im Deutschunterricht die Frage beantworten «Was ist Mut?». Ein Essay. Zeit: drei Stunden. Eine Schülerin soll auf das Blatt geschrieben haben «Das ist Mut!» und es der Lehrerin abgegeben haben. Angeblich bekam sie die Bestnote.

Ohne Mut keine Zukunft

Eine beeindruckende Geschichte. Aber warum? Wohl deswegen, weil hier für einmal nicht klug gefaselt, sondern entschlossen gehandelt wird. Hier beweist jemand Mut. Aber was ist das eigentlich, Mut? Und wie können wir uns diese, angeblich so erstrebenswerte Charaktereigenschaft aneignen? Für die Philosophin Dagmar Borchers bedeutet Mut, «nicht auszuweichen, sondern hervorzutreten und mit Worten oder Taten klarzumachen, was man für richtig hält». Für die eigenen Überzeugungen einzustehen, auch wenn damit ein hohes persönliches Risiko verbunden ist.

Zur Person

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Dagmar Borchers ist Professorin für Angewandte Philosophie an der Universität Bremen. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der Angewandten Ethik (Bioethik, Tierethik), dem Theorienvergleich in der Ethik, sowie in der Politischen Philosophie.

Diese Tugend brauchen wir Borchers zufolge, um «individuell im Leben bestehen zu können und als Gesellschaft zukunftsfähig, innovativ und kreativ zu sein». Denn es seien «die mutigen Menschen, die die Dinge voranbringen – Menschen wie zum Beispiel Martin Luther King».

Die goldene Mitte

Mut war bereits für die griechischen Philosophen Platon und Aristoteles eine der wichtigsten Tugenden des Menschen – neben der Mässigung, der Vernunft und der Gerechtigkeit. Der Mut liege in der goldenen Mitte, zwischen dem Zuviel der Tollkühnheit und dem Zuwenig der Feigheit. Dies gelte für alle Tugenden, so Aristoteles.

Die Mitte sei jedoch je nach Person und Situation eine andere. Wladimir Klitschko wäre feige, würde er eine Schlägerbande nicht davon abhalten, eine schwache Oma zu verprügeln. Die gebrechliche Freundin der Oma dagegen wäre tollkühn, wenn sie sich auf eine Prügelei einliesse.

Ohne Mut kein Glück

Die alten Griechen meinten, ohne Tugenden und ohne Mut gäbe es kein gelingendes Leben, kein wahres Glück. Aber warum ist der Mut so wichtig für unser Glück? Wohl deswegen, weil es sich gut anfühlt, das Leben in die eigene Hand zu nehmen. «Selbstwirksamkeit» nennt das die Psychologie. Nicht als Schauspielerin durchs Leben gehen, sondern endlich selber Regie führen. Sehen, dass man etwas bewirken kann in der Welt.

Doch wie kann man sich den dazu nötigen Mut aneignen? Ist uns der eigene Charakter nicht mitgegeben? Ist er nicht unser Schicksal, wie der Vorsokratiker Heraklit meinte? Oder können wir unseren Charakter formen und uns Mut antrainieren?

Buch-Hinweise

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Dagmar Borchers: «Die neue Tugendethik – Schritt zurück im Zorn?». Mentis Verlag, 2001.

Dagmar Borchers: «Moralische Exzellenz – eine Einführung in die Tugendethik», in: Ach, J./Bayertz, K./Siep, L. (Hg.): «Grundkurs Ethik». Mentis Verlag, 2008

Die Wahrheit liege auch hier, ebenso wie bei der Frage nach dem tugendhaften Leben, irgendwo in der Mitte, meint Borchers. Sie ist der Ansicht, Furcht und Angst seien «tief verwurzelte, starke Gefühle». Deshalb ist sie «skeptisch, ob man seine persönlichen Grenzen hier stark verschieben kann».

Ängstlichen Menschen falle es schwerer, für ihre Überzeugungen und Ideale einzustehen. Oft erlebe man aber, dass auch ängstliche Menschen grossen Mut entwickeln, wenn eine starke Überzeugung hinter ihrem Handeln steht. «Menschen können in bestimmten Situationen über sich hinauswachsen», meint die Philosophin. Möge uns das im nächsten Jahr gelingen. Einmal mehr.

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