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Der Earl of Chatham, vom Schlag getroffen.
Legende: Der Earl of Chatham vom Schlag getroffen im House of Lords von Maler John Singleton Copley. Wikimedia

Momentaufnahmen Der Tod des Earl of Chatham und die Anfänge der Bildreportage

1778, im House of Lords. Eben flogen die Fetzen. Jetzt steht die Zeit still. Die adligen Parlamentsabgeordneten halten den Atem an. William Pitt, der Earl of Chatham, ist zusammengebrochen: Schlaganfall. Ein Maler hält diesen Moment in einem Bild fest, das ganz London sehen will.

  • Der Earl of Chatham erhitzt sich über den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg derart, dass er vom Schlag getroffen wird.
  • Der Maler John Singleton Copley hat diesen Augenblick auf seinem Bild festgehalten: die News als Gemälde.
  • Copley zeigt den emotionsgeladenen Moment des Zusammenbruchs und landet mit einem Bild einen einzigartigen Erfolg.

Ein News-Ereignis als Sujet eines Historiengemäldes

«Momentaufnahmen»

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Wir lassen Augenblicke aufleben, die Geschichte geschrieben haben aus Musik, Kino, Literatur, Malerei, Fotografie und Gesellschaft.

Alle Momentaufnahmen finden Sie hier .

Auf Radio SRF 2 Kultur sind die Momentaufnahmen vom 2. bis 6. Januar 2017 zu hören jeweils um 8.20 Uhr.

Erhitzt hatte sich der angesehene Earl über den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg. Vom Schlag getroffen bricht er zusammen. Der Maler John Singleton Copley hat diesen historischen Moment zeitgenössischer Geschichte scheinbar objektiv festgehalten und als einer der ersten ein zeitgenössisches News-Ereignis zum Sujet eines Historienbilds gemacht.

In seinem Gemälde blicken alle auf William Pitt. Ein Sonnenstrahl erleuchtet den zusammengebrochenen Earl, seine drei Söhne sind bei ihm, Gefolgsleute und Gegenspieler im House of Lords sind entsetzt. Hier stirbt einer der mächtigsten Männer des Landes, weil es schlecht um England steht.

Pitt gilt neben Cromwell und Wilhelm III. als Baumeister des britischen Weltreichs. Unter seiner Führung gewann das Land grosse Gebiete in Indien, Nordafrika und Nordamerika. Doch das war einmal. Jetzt wankt das britische Weltreich: die Kolonisten in Nordamerika kämpfen im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg für ihre Freiheit.

«If we must fall, let us fall like men»

Nach der verlorenen Schlacht von Saratoga schlägt der Duke of Richmond im Frühjahr 1778 vor, alle britischen Truppen aus Amerika abzuziehen. Der Earl of Chatham weist den Antrag in einer heroischen Rede zurück, beschwört die Geschichte britischer Siege und schliesst: «If we must fall, let us fall like men.» Dann bricht der 69-Jährige zusammen. Grossbritannien folgt Chatham, führt den Krieg fort und akzeptierte die amerikanische Unabhängigkeit erst 1783.

Der Maler John Singleton Copley hat auf seinem Bild festgehalten, was eine Kolonialmacht sehen möchte. Er zeigt den emotionsgeladenen Moment des Zusammenbruchs und landet mit einem Bild, das britische Tugend und Standhaftigkeit beschwört, einen einzigartigen Erfolg. Das Rezept: Schlüsselloch und Tugendlehre.

Der Künstler hat ein Gespür für Themen, die elektrisieren

Ganz London will «The Death of the Earl of Chatham» sehen, dieses spektakuläre Historienbild, das aktuelle Zeitgeschichte aufs Podest hebt. In Spring Gardens bei Charing Cross, im Zentrum des eben entstehenden Londoner Showbusiness, wo Panoramen, Magier mit ihren Automaten oder Konzertvirtuosen um die Gunst des Publikums buhlen, mietet Copley im Frühjahr 1781 für sechs Wochen den «Great Room», um sein Bild auszustellen.

Die Presse berichtet von bis zu achthundert Ausstellungsbesuchern pro Tag. Der Künstler hat ein gutes Gespür für Themen, die das Publikum elektrisieren – und fürs Geschäft. Unglaubliche 5000 Pfund soll er nach eigenen Angaben mit Eintrittsgeldern eingenommen haben (was umgerechnet ungefähr einer halben Million heutiger Pfund entsprechen würde).

«The Death of the Earl of Chatham» als Stich in schwarz-weiss, massenhaft unter die Leute gebracht.
Legende: «The Death of the Earl of Chatham» als Stich, massenhaft unter die Leute gebracht. Getty Images

Copley entwickelt mit «The Death of the Earl of Chatham» eine neue Künstler-Strategie: Er malt sein Bild ohne Auftrag, stellt es selbstständig aus, bewirbt seine Ausstellung in der Presse und verlangt Eintritt; jeder Besucher erhält zudem eine Broschüre mit einem Subskriptions-Angebot für einen Stich des Bildes.

Die Eintritte, der Erlös aus dem Verkauf der Stiche und aus dem späteren Verkauf des Bildes bilden die Einnahmen dieses mit hohen Risiken behafteten Businessmodells, das bald auch von anderen Künstlern übernommen wird.

Das Erfolgsrezept des Künstler-Unternehmers Copley ist einfach: Er zeigt, was das Publikum sehen will, und nobilitiert den Voyeurismus durch eine hochangesehene Gattung der Malerei. Nicht nur sandalentragende Römer und Griechen, auch zeitgenössische Briten mit ihren Perücken dürfen nun aufs Historiengemälde, sofern sie mit ihrem Verhalten ein tugendhaftes Vorbild, ein «exemplum virtutis» abgeben – und dem Affen trotzdem Zucker geben.

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