Die Mondkalender: Viele biodynamische Bauern und noch viel mehr Hobbygärtner schwören auf sie. Einer wissenschaftlichen Prüfung halten die Mondkalender nicht stand – hilfreich sein können sie trotzdem.
«Mondkalender können zum genauen Beobachten der Natur anleiten», sagt Martin Ott, Stiftungsratspräsident des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL). Aber auch er hat seine Vorbehalte. Ein Gespräch über Mond und Materie, Wachstum und Widersprüche.
SRF: Aktuell haben wir Neumond. Was würden sie als biodynamischer Bauer heute mit Rücksicht auf den Mond nicht tun?
Martin Ott: An Neumond würden wir als biodynamische Landwirte nicht unbedingt säen. Wir würden auch keinen Kompost ausbringen oder sonst etwas tun, was eine Verbindung sucht.
Was meinen Sie mit «Verbindung»?
Wenn ich säe, dann setze ich mit dem Samen einen Vegetationspunkt in den Humus hinein. Dieser Punkt wartet nur darauf zu explodieren. Diese Verbindung, die da gesucht wird, würde ich nicht gerade in den Neumond hinein setzen.
Wir haben in der Natur Vorgänge, die wir als mondhaft bezeichnen.
Es gibt also einen Zusammenhang zwischen der Mondstellung und der Vegetation auf unserem Planeten?
Das ist jetzt ein bisschen zu stark interpretiert. Wir sehen eher Ähnlichkeiten zwischen Mondverlauf und dem vegetativen Geschehen auf der Erde. Ob es auch eine Resonanz gibt und man sagen kann, da kommt etwas aus dem Kosmos und greift in die Materie hier auf der Erde ein, halte ich für eher unwahrscheinlich.
Welchen Zusammenhang gibt es denn dann zwischen Mond und Erde?
Ich persönlich sehe diesen Zusammenhang eher in einer Art Entsprechung. Wir haben in der Natur Vorgänge, die wir als mondhaft bezeichnen. Das sind alles quellende, verbindungssuchende, fliessende Vorgänge. Und wir haben als Gegensatz dazu die eher strukturierenden Vorgänge.
Als biodynamischer Bauer bin ich entschieden gegen Kriegsführung in der Natur.
Diese Vorgänge schreiben wir der Sonne zu. Die Vorstellung aber, dass der Mond als Planetenkörper Prozesse auf der Erde beeinflusst – abgesehen von Ebbe und Flut – diese Vorstellung ist mir etwas zu windig.
Sie würden sich also nicht nach dem Mondkalender richten, der ja für viele biodynamischen Bauern und für noch viel mehr Hobbygärtner von zentraler Bedeutung ist.
Als biodynamischer Bauer bin ich entschieden gegen Kriegsführung in der Natur – also gegen Kunstdünger oder Pestizide. Das heisst, ich muss ich mich nach Alternativen umsehen.
Wie mache ich das? Indem ich die Natur äusserst genau beobachte. Ziel dabei ist es, bestimmte günstige Momente in den Vegetationszyklen zu erkennen und so die Chance des Wachstums zu verbessern.
Das ist aber genau das, was etwa die Anthroposophin Maria Thun ebenfalls getan hat. Ihr populärer Mondkalender unterscheidet zwischen Blütentagen und Wurzeltagen, zwischen Blatttagen und Fruchttagen. Diese Tage stehen für Maria Thun in Abhängigkeit zur Mondstellung.
Tatsächlich hat Frau Thun festgestellt, dass an gewissen Tagen die von ihr ausgesäten Radieschen in Grösse und Form abweichen von Radieschen, die an anderen Tagen ausgesät wurden. Daraus hat sie einen Zusammenhang zwischen Mondstellung und Pflanzenwachstum abgeleitet.
Maria Thun hat ihre Beobachtungen sogar mit ausführlichen wissenschaftlichen Reihen belegt.
Das stimmt. Das Problem ist nur, das es bisher niemandem gelungen ist, Maria Thuns Erkenntnisse mit eigenen Versuchsreihen zu bestätigen.
Das heisst, Maria Thun hat gemogelt?
Überhaupt nicht. Es heisst nur, dass ihre Erkenntnisse einer wissenschaftlichen Prüfung nicht standhalten. Aber vielleicht hat ja Frau Thun etwas ganz anderes herausgefunden. Vielleicht hat sie herausgefunden, dass Pflanzen auf menschliche Nähe und Zuneigung reagieren.
Tatsächlich kommunizieren Pflanzen sehr viel mehr mit ihrer Umwelt, als wir das bis anhin angenommen haben.
In dieser Hinsicht stehen wir ja erst am Anfang eines völlig neuen Natur-Verständnisses. Vielleicht ist ja Frau Thun eine Pionierin auf genau diesem noch weitgehend unbekannten wissenschaftlichen Feld.
Mondkalender wie jene von Maria Thun sind also unbrauchbar?
Als Orientierung können sie durchaus zum genauen Beobachten von Natur anleiten. Als Regelwerk aber taugen sie wenig. Umso weniger, als dass es eine grosse Vielzahl solcher Kalender gibt, die sich zum Teil auch widersprechen. Jeder von ihnen nimmt natürlich für sich in Anspruch, der richtige zu sein.
Das Gespräch führte Bernard Senn.