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Marc Trauffer: Die Schweiz gehört nicht der SVP
Aus Kontext vom 12.02.2019. Bild: Keystone
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Mundart in der Musik Heimat-Pop ist eine Importware

Dialekt, Tracht und Jodelchor: Die Schweizer Popmusik schmückt sich gern mit Folklore. Ihre Wurzeln liegen anderswo.

Der «Kiosk» von Polo Hofers Band Rumpelstilz war 1976 ein riesiger Hit, heute gehört der Song zur helvetischen Folklore, ein Evergreen der populären Musik. Aber was genau ist daran schweizerisch?

Der Refrain ist aus einem Song der US-amerikanischen Rockband Little Feat entliehen, der Rhythmus kommt aus Jamaika. Eine magische Kombination, aber: Importware.

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Aus dem Archiv: Rumpelstilz treten mit «Kiosk» bei «Die grössten Schweizer Hits» auf (30.11.2018)
Aus Kultur Extras vom 15.02.2019.
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Schweizer Anstrich, importiertes Liedgut

Was bleibt, ist der Text, der in der deutschen Schweiz bald mal zum geflügelten Wort wird – eine recht spiessige Aussage, dazu ein paar Juchzer und ein Akkordeon, die an einheimische Ländler erinnern. Eigentlich sind diese musikalischen Versatzstücke nur hiesige Schminke für internationales Liedgut.

Der Sänger Gölä mit Mikrophon und Jodelchor im Hintergrund.
Legende: Setzt als Rocker ganz auf Swissness: Gölä mit Jodelchor am Unspunnenfest. Keystone / Peter Schneider

Das gilt auch für neuere Vertreter des Genres, wie Gölä, der die neuste Ausgabe seiner alten Lieder mit Jodelchor aufführt, oder der Ländlerpopper Trauffer. Der Rock- und Popmusik selbst fehlt es in der Schweiz an eigenen Wurzeln, so wie sie etwa die anglophonen Länder besitzen.

Heimat – ein schwieriges Wort

Schwyzerörgeli und Alphorn, Juchzen und Jodler – die Schweiz hat eine eigene Folkore, die in ihrer eigenen Nische immer schon populär war. Einen grossen Einfluss auf die populäre Musik hatte sie eher selten.

Bis sich Formationen wie die Hujässler oder Pflanzplätz an eine aufdatierte, selbstsichere Version dieser Tradition machten, bis einzelne Musikerinnen und Musiker aus anderen musikalischen Welten wie Christine Lauterburg, Erika Stucky oder Max Lässer sich an die eigenen Wurzeln erinnerten, dauerte es.

Noch in den 1980er-Jahren galt der Ländler in der Schweiz, anders als die Folklore in Irland oder Finnland, als alt und heimattümelnd. Dementsprechend gross waren die Berührungsängste. Ein Graben tat sich auf zwischen Stadt und Land, zwischen modern und veraltet.

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Andreas Gabalier: Idyllischer Alpenrock von rechts
aus Kontext vom 12.02.2019. Bild: Imago
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Heimat – ein Wort, das nicht nur schwierig zu übersetzen ist, sondern auch schwer, mit verlässlichem Inhalt zu füllen. Ein Wort, dessen Definition im vergangenen Jahrhundert vor allem vom nationalsozialistischen Deutschland geprägt wurde.

Daran mag es liegen, dass auch in der Schweiz die Linke, die Musikerinnen, die Städter einen Bogen um die Folklore machten. Zum Glück sieht man dies heute etwas gelassener, wenn nicht im politischen, so doch immerhin im künstlerischen Zusammenhang.

Mundart als musikalische Wurzeln

Seit der «Kiosk» vor mehr als 40 Jahren zur alternativen Nationalhymne wurde, ist der Dialekt im öffentlichen Leben und in der populären Musik immer wichtiger geworden.

Von Polo über Züri West bis zu Plüsch: die Liste der Mundart-Bands ist lang. Es gibt Rapper und Reggae-Sänger, die sich im Dialekt ausdrücken. Mundartproduktionen sind eher die Regel als die Ausnahme – und sie sind stilistisch vielfältig.

Drei Alben liegen auf einer karierten Tischdecke.
Legende: Mehr Regel als Ausnahme: Schweizer Bands, etwa Züri West, setzen auf Mundart. Keystone / Peter Klaunzer

Das grosse Identifikationspotenzial, das Schweizerische aber liegt in den Texten. Sie bilden helvetische Realität ab, in den umstrittenen Politphrasen Göläs ebenso wie in den poetischen Zeilen von Stiller Has.

Musik kann Heimat bieten, ein Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Gruppe, zur Vielfalt einer Gesellschaft. Wenn Polo Hofer die «Alperose» besingt oder Span den «Louenesee», dann ist das tatsächlich ein Stück musikalische Heimat – die (nicht mehr ganz so) neue Schweizer Folklore.

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