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Gesellschaft & Religion «Muslime werden als Fremdkörper betrachtet»

Rassismus hat heute mehr mit Kultur und Religion zu tun als mit Rasse. Gängige Vorwürfe wie «Muslime können sich nicht integrieren», bezeichnet die Historikerin Yasemin Shooman deshalb als antimuslimischen Rassismus.

Yasemin Shooman, sie erforschen antimuslimischen Rassismus. Kann man da wirklich von Rassismus sprechen? Schliesslich ist Muslim-Sein keine «Rasse», keine Ethnizität oder Hautfarbe.

Zur Person

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Yasemin Shooman ist Historikerin und leitet die Akademieprogramme des Jüdischen Museums in Berlin. Sie erforscht antimuslimischen Rassismus, dazu hat sie ein Buch geschrieben:

»... weil ihre Kultur so ist«. Narrative des antimuslimischen Rassismus (transcript Verlag, 2014).

Yasemin Shooman: Es gab eine Verschiebung des Begriffs, ein Rassismus ohne Rassen sozusagen. Rassismus wird nicht mehr biologistisch begründet, sondern viel stärker mit Kultur und Religion. Die Religion wird sozusagen «ethnisiert». Wer ein bestimmtes Aussehen hat oder einen bestimmten Namen, wird als Muslim identifiziert und hat dann bestimmte Eigenschaften. Diese Identität ist nicht frei gewählt, man kann sie nicht ablegen. Sie wird von aussen zugeschrieben – das ist Rassismus.

Welche Eigenschaften werden dem Islam und damit auch den Muslimen zugeschrieben?

Der Islam gilt als eine nicht-weisse, nicht-europäische Religion. Islam und Westen scheinen sich auszuschliessen. Deswegen werden auch muslimische Kinder, die hier aufgewachsen sind, als Fremdkörper betrachtet. Sie könnten sich nicht integrieren, weil sie eben Muslime sind. Früher wurden Integrationsprobleme mit der Fremdheit der Kultur erklärt, so wurden auch Gastarbeiter aus Italien oder Spanien ausgegrenzt. Es fand dann aber eine Verschiebung statt. Die Migranten aus Südeuropa stiegen auf, sie waren ja Europäer und Christen. Die Muslime hingegen wurden stigmatisiert.

Geht es da eigentlich noch um Religion?

Es werden Dominanzkonflikte verhandelt. Muslime werden öffentlich sichtbar, sie wollen am Alltag teilhaben. Paradoxerweise stösst genau die geforderte Partizipation auf Abwehr. Es geht also viel eher um Inklusion und Exklusion.

Bei der Integration gibt es jedoch Probleme, zum Beispiel auch mit Gewalt.

Bei sozialen Konflikten stellt sich die Frage: Wie erklärt man sich die? Wenn eine bestimmte Gruppe zum Beispiel stark von Arbeitslosigkeit oder Gewalt betroffen ist, habe ich zwei Möglichkeiten, das zu erklären. Entweder sage ich, das liegt an ihnen selbst, an ihrer Kultur, an ihrer Religion – so trägt die Gesamtgesellschaft keine Verantwortung mehr. Oder aber ich sage: Da muss sich an der Gesellschaft etwas ändern, denn alle sind für diese Probleme mitverantwortlich. So muss ich auch mich selbst kritisch betrachten.

Was kann man denn gegen den Rassismus tun?

Man kann bei sich selbst ansetzen. Bewertet man Gruppen, die man als fremd bezeichnet, nach gleichen Massstäben wie die eigene Gruppe? Bei einem muslimischen Straftäter wird schneller gedacht: Das hat vielleicht etwas mit seinem Muslim-Sein zu tun als mit seiner Herkunft. Er wird zum typischen Vertreter seiner Gruppe. Straftäter der eigenen Gruppe werden aber eher als Abweichung der Norm betrachtet. Hier muss man genauer hinschauen.

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