Zum Inhalt springen

Muslimische Sozialarbeit «Zeigen, dass wir ganz normale Menschen sind»

Hilf den Bedürftigen, befiehlt der Islam. Wie sieht muslimische Sozialarbeit konkret aus – und braucht es sie in der Schweiz?

Yasemin Duran ist ein Hansdampf in allen Gassen: Eben hat sie ein Volleyball-Turnier für muslimische Frauen mitorganisiert. Sie gibt Frauen und Mädchen ehrenamtlich Religionsunterricht – schliesslich hat sie islamische Theologie studiert. Sie wird angefragt für Erziehungs- und Eheberatungen. Und sie kümmert sich um die betagten Schwiegereltern.

Zeichen setzen

«Der Islam gebietet, dass man seine Umgebung, die Gesellschaft mitgestaltet», sagt Duran. «Mir geht es aber um ein Zeichen. Wir Musliminnen und Muslime müssen zeigen, dass wir ganz normale Menschen sind.»

Yasemin Duran ist ein typisches Beispiel dafür, wie muslimische Sozialarbeit in der Schweiz funktioniert: Einzelpersonen lancieren niederschwellig Projekte, die über die eigene Moscheegemeinde hinaus kaum bekannt sind.

Brücken bauen

«Die muslimische Sozialarbeit in der Schweiz ist noch in der Entstehungsphase», bestätigt auch Baptiste Brodard. Der Sozial- und Islamwissenschaftler schreibt seine Doktorarbeit am Zentrum für Gesellschaft und Islam an der Universität Freiburg.

Ein Mann mit Glatze und blondem Dreitagebart, lächelnd.
Legende: Ihr soziales Engagegement mache Muslime zu aktiven Bürgern, sagt Baptiste Brodard. Universität Fribourg

Er begleitet Projekte in drei grossen Westschweizer Städten, in denen sich Musliminnen und Muslime engagieren. Sie verteilen Kleider und Essen an Obdachlose. Oder sie setzen sie sich ein gegen die Radikalisierung.

Oft machen bei diesen Projekten Muslime mit, die wenig integriert sind. «Mit ihrem Engagement werden sie zu aktiven Bürgern», sagt Brodard.

Grundlagen im Koran

Muslimische Sozialarbeit kann also zur Integration beitragen und den Status der Musliminnen und Muslime in der Gesellschaft verändern. Die Grundlage für ihr Engagement finden viele Muslime in der Religion.

«Es gibt die Zakat, eine Art Steuer, die die Muslime zahlen müssen, und die für Bedürftige eingesetzt werden muss», erklärt Baptiste Brodard. «Dann gibt es viele Verse im Koran, die die Gläubigen dazu aufrufen, die Hungrigen zu speisen oder Armen zu helfen.»

Zentral sei, dass bei den Bedürftigen nicht nur die Muslime gemeint seien, sondern die gesamte Menschheit.

Vorteil Vertrauensvorsprung

Dennoch richten sich viele der kleinen sozialen Projekte in der Schweiz vor allem an Muslime. Deutschkurse, Jugendarbeit, Familienberatung. Birgt das nicht die Gefahr einer Parallelgesellschaft? Der Isolation statt der Integration?

Nein, sagt Burim Luzha. Der angehende Sozialarbeiter mit albanischen Wurzeln plädiert für eine professionellere muslimische Sozialarbeit – von Muslimen für Muslime. «Muslimische Sozialarbeiter haben einen Vertrauensvorsprung», glaubt er.

Ausserdem könnten muslimische Sozialarbeiter Menschen, welche die staatlichen Angebote nicht kennen, weiter verweisen. Burim Luzha sagt aber auch, eine professionell aufgezogene Sozialarbeit müsse unabhängig sein von den Moscheen.

Ein europäischer Islam?

Die Abhängigkeit von Moscheen oder internationalen Organisationen ist stets ein Thema, wenn über die muslimische Sozialarbeit gesprochen wird. Das bestätigt auch Baptiste Brodard.

In der Schweiz habe er keine Verbindungen zu Organisationen wie etwa den Muslimbrüdern beobachtet. Im Gegenteil: «Die Musliminnen und Muslime, die sich engagieren, emanzipieren sich von den Moscheen, entwickeln oft eigene Vorstellungen.»

In Frankreich habe das sogar dazu geführt, dass ein neuer, europäischer Islam entstehe.

Meistgelesene Artikel