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«Muster» von Armin Nassehi Warum wir Daten anhäufen ohne Ende

Der deutsche Soziologe Armin Nassehi hat eine fulminante Theorie der digitalen Gesellschaft vorgelegt. Es ist das Buch der Stunde.

Welches Problem löst eigentlich die Digitalisierung? Diese überraschende Frage steht am Anfang des neuen Buches «Muster. Theorie der digitalen Gesellschaft» des deutschen Soziologen Armin Nassehi.

Die Digitalisierung sei im Wesentlichen die «Verdopplung der Welt in Datenform», so der Autor in seinem 300-seitigen Theoriewerk. Egal ob Kalorien, Kilometer oder Klopapier – alles wird erfasst, gezählt, gemessen. Aber wozu? Welches Problem löst das Sammeln von Daten?

Armin Nassehi

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Armin Nassehi ist Professor für Soziologie an der LMU München und Herausgeber der Zeitschrift «Kursbuch». Er ist ein gefragter öffentlicher Intellektueller und erhielt 2018 den Preis für «Herausragende Leistungen auf dem Gebiet der öffentlichen Wirksamkeit der Soziologie».

Dass Daten erhoben und miteinander in Beziehung gesetzt werden, sei keineswegs neu, meint Nassehi. Bereits im 19. Jahrhundert erfasste man die Bevölkerung mittels Sozialstatistiken, um komplexer werdende gesellschaftliche Prozesse zu vereinfachen und zu steuern.

In der vormodernen Ständegesellschaft brauchte man das noch nicht: Die soziale Welt war hierarchisch strukturiert und einzelne Lebensläufe gut vorhersehbar. Heute dagegen, in der sich rasant verändernden und komplexen Welt, reichen nicht mal mehr Sozialstatistiken.

Mensch, Maschinen, Muster

Wir benötigen «Big Data» und künstliche Intelligenz, um vorhandene Muster und Zusammenhänge zu erkennen. Für uns Menschen sind diese Regelmässigkeiten gänzlich unsichtbar. Wir sind auf Maschinen angewiesen, die aus Datenbergen verborgene Strukturen herauslesen.

«Big Data» zeige uns, so Nassehi, nach welchen Mustern unsere Gesellschaft funktioniert und wie vorhersehbar unser Verhalten ist – auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheint. Wenn Algorithmen auf einmal «wissen», welche Musik und welche Bücher uns gefallen, dann liegt das auch daran, dass wir weniger originell und individuell sind als wir meinen.

Altes Bedürfnis, neue Mittel

Dieses Wissen um stabile Muster mag uns kränken, aber es ermöglicht, chaotisch anmutende, gesellschaftliche Vorgänge wieder in den Griff zu bekommen, sie zu steuern und zu kontrollieren. Und genau dieses Grundbedürfnis bedient die Digitalisierung: die Beobachtung und Steuerung unserer komplexen Gesellschaft.

Schweizer Digitaltag mit SRF

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Der dritte Digitaltag steht unter dem Motto «Digital gemeinsam erleben». Am 3. September erwarten das Publikum an über zwölf Standorten in der Schweiz kostenlose Talks, Bühnenshows und Startup-Pitches.

Auch SRF widmet sich der Digitalisierung und zeigt bereits im Vorfeld diverse Sendungen zum Thema. Am Digitaltag selbst berichtet SRF von 13.10 bis 14.00 Uhr live vom Zürcher Hauptbahnhof.

Das Bedürfnis ist alt, die Mittel es zu befriedigen aber sind neu. Die Digitalisierung wandelt die unterschiedlichsten Dinge in Daten um und macht sie so vergleichbar. In der Datenwelt gibt es nur Null und Eins. Diese digitale Vereinfachung ermöglicht es, analoge Komplexität in den Griff zu bekommen.

Diese Komplexität wird weiter steigen. Deshalb sind wir auch in Zukunft auf die Digitalisierung angewiesen. Sie passt zu unserer Gesellschaft wie der Schlüssel ins Schloss.

Lohnende Lektüre

Nassehis Buch ist ein Augenöffner. Ein origineller Theorieansatz, frei von Alarmismus und Allgemeinplätzen. Aber, das muss man sagen: keine leichte Kost. Dennoch lohnt sich die Lektüre.

Dass Nassehi zurzeit beratende Gespräche mit den Grünen in Deutschland führt und im Buch auch die Frage bespricht, wie die Digitalisierung mit dem Klimaproblem zusammenhängt, macht «Muster» zum Buch der Stunde.

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