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Mutter-Kind-Heime in Irland «Ich war in der Hölle gelandet»

Im streng katholischen Irland galt Sex vor der Ehe im letzten Jahrhundert als schwere Sünde. Unverheiratete schwangere Frauen kamen meist unfreiwillig in sogenannte «Mother and Baby Homes».

Wer im Irland des 20. Jahrhundert vor der Ehe schwanger wurde, landete meist in einem «Mother and Baby Home». Heute ist bekannt, dass diese von römisch-katholischen Nonnen geführten Institutionen oft grausame Orte waren.

Die schwangeren Frauen mussten teilweise harte, körperliche Arbeit verrichten, sie erhielten schlechte medizinische Versorgung und ihnen wurden ihre Neugeborenen oft gegen ihren Willen weggenommen.

Unter Gewalt zurück nach Irland

Terri Harrison wuchs im Dublin der 1960er-Jahre auf. Ihr Leben sei von Angst geprägt gewesen, als Frau sei man von Anfang an untergeordnet gewesen. «Die Religion durfte man auf keinen Fall hinterfragen», meint die Musikerin.

Harrison war 18 Jahre alt, als sich ihr Leben komplett veränderte: Sie wurde schwanger. Daraufhin floh sie nach London, denn sie habe gewusst, dass das streng römisch-katholische Irland kein guter Ort sei für eine unverheiratete, schwangere Frau.

Fotos eines braunen, düsteren Gebäudes, davor Gras, dahinter grauer Himmel.
Legende: Insgesamt 80'000 Frauen wurden in Mother and Baby Homes wie diesem von Sisters of the Sacred Hearts versteckt. IMAGO / PA Images / Niall Carson

Kurze Zeit später brachte sie ein Priester unter Anwendung von Gewalt zurück nach Irland. Terri Harrison kam in ein «Mother and Baby Home».

Sünderinnen im Arbeitslager

«Ich war in der Hölle gelandet», beschreibt sie den Ort. Die folgenden Monate waren nur schwer zu ertragen für die erwartende Mutter. Sie musste Böden schrubben, im Garten arbeiten, Wäsche waschen oder Rosenkränze herstellen.

Die «Mother and Baby Homes»

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Nach der Unabhängigkeit Irlands 1922 übergab der noch junge irische Staat der römisch-katholischen Kirche die Kontrolle über verschiedene soziale Einrichtungen.

So entstanden die Mutter-Kind-Einrichtungen, in denen laut Schätzungen während über 80 Jahren mehr als 80'000 Frauen versteckt wurden. Genauso viele Kinder wurden in den Heimen geboren und zu einem grossen Teil zwangsadoptiert.

Die Sterberate für die Kinder in diesen Institutionen war gemäss verschiedenen Schätzungen 2 bis 5-mal höher als in der restlichen Bevölkerung.

Mehr Rechte für Frauen, Zugang zu Verhütungsmitteln, aber auch zu Abtreibungen bedeuteten dann ab den 1970er-Jahren das langsame Ende der «Mother and Baby Homes». Das letzte Heim schloss 2006 seine Tore.

Die Heime seien wie Arbeitslager gewesen, niemand habe sich um sie gekümmert. «Wir waren Gefangene. Wir galten als Sünderinnen, doch wir waren alle noch Mädchen», erklärt Terri Harrison. Die Älteste im Heim sei 20 Jahre alt gewesen, die Jüngste erst 14.

Terri Harrison überlebte die Geburt ihres Sohnes nur knapp. Er blieb nicht lange bei ihr: «An einem Samstagmorgen wollte ich zu ihm, um ihn zu füttern. Sein Bettchen war leer», erzählt sie. Ihr Sohn wurde von einer anderen Familie adoptiert. Sie habe dafür nie eingewilligt.

Geschichten ohne Abschluss

Das ist nun 50 Jahre her, doch die Geschichte ist für Terri Harrison noch nicht abgeschlossen. Sie kämpft bis heute mit anderen Betroffenen um eine gerechte Anerkennung und um Kompensation durch den Staat und die römisch-katholische Kirche.

Foto ältere Frau mit roten Haaren sitzt am Klavier, im Hintergrund Holzboden und Holztür.
Legende: Terri Harrison verarbeitet ihre Geschichte in ihrer Musik. Terri Harrison

Die Schauspielerin Noelle Brown setzt sich seit Jahren für die Rechte von Adoptierten in Irland ein. Sie selbst wurde 1965 in einem «Mother and Baby Home» geboren und mit 8 Wochen adoptiert.

Sie habe eine glückliche Kindheit gehabt, trotz des Stigmas, das adoptierten Kindern anhaftete: «Uns wurde gesagt, dass wir neben der Erbsünde noch eine zweite Sünde in uns trugen, weil wir ausserhalb einer Ehe geboren worden waren», meint sie.

Frau mit kurzen, blonden Haaren und weisser Bluse steht vor grossem, grünen Foto
Legende: Noele Brown (links) erzählt in ihrem Bühnenstück ihre Geschichte und gibt anderen Betroffenen eine Stimme. Ros Kavanagh

Noelle Brown begann 2002 nach Informationen zu ihrer Geburt zu suchen, doch sie musste lange kämpfen, um an ihre Akten zu kommen. Diese wurden bis vor Kurzem noch von den Nonnen verwaltet, die im «Mother and Baby Home» gearbeitet hatten, in dem Noelle Brown geboren worden war.

Der Name ihres leiblichen Vaters wurde Brown 17 Jahre lang verschwiegen. Bis heute versucht sie, Zugang zu ihren medizinischen Akten zu erhalten, denn sie vermutet Schlimmes: Heute ist bekannt, dass Impfexperimente an den Neugeborenen in den Heimen durchgeführt wurden. So auch 1965 in Bessborough, dem Geburtsjahr und Geburtsort von Noelle Brown.

Ein Massengrab mit 800 Neugeborenen

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2014 fand man ein Massengrab mit Babyleichen im westirischen Städtchen Tuam. Die 800 anonym verscharrten Kinder kamen vom dortigen «Mother and Baby Home».

Die Nachricht schockierte die irische Bevölkerung, der Staat reagierte: Er leitete eine grosse Untersuchung ein. Der Abschlussbericht wurde im Januar 2021 veröffentlicht. Betroffene sind masslos enttäuscht vom Ergebnis. Sie kritisieren, dass sie im Bericht nicht genügend zu Wort kommen und dass sie teilweise falsch repräsentiert würden.

Gegen den Bericht wurde sogar Klage erhoben. Der oberste Gerichtshof in Irland gab den Klägerinnen recht. Nun verlangen die Betroffenen, dass der Bericht angepasst und sie anhand der neuen Erkenntnisse angemessen kompensiert würden. Diese Verhandlungen sind noch nicht abgeschlossen.

Staat und Kirche sollen das Unrecht anerkennen

Obwohl es seit 2006 keine «Mother and Baby Homes» in Irland mehr gibt, ist die Geschichte für die Betroffenen nicht abgeschlossen. Der irische Staat hat die römisch-katholische Kirche ihrer Meinung nach auch nach mehreren Untersuchungen nicht genügend zur Rechenschaft gezogen. Die beiden Überlebenden bestätigen: Sie werden nicht locker lassen, bis der Staat und die Kirche das Unrecht endlich richtig anerkennen.

Radio SRF 2 Kultur, Perspektiven, 6.2.2022, 08:30 Uhr.

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