Über 100 Forscherinnen und Forscher und 25 Labors werden sich sechs Jahre lang mit den Trümmern der weltberühmten Pariser Kathedrale beschäftigen. Martine Regert ist molekulare Archäologin am CEPAM in Nizza, dem Zentrum fürs Studium der historischen Kulturen, und Co-Projektleiterin des grossen Notre-Dame-Forschungsvorhabens.
«Der Brand hat das Baudenkmal stark verändert», sagt Regert. «Aber er hat auch ein Geschichtsbuch aufgeschlagen, das uns erlaubt, an Teile und Materialien des Bauwerks heranzukommen, die man sonst nicht genau untersuchen konnte.»
Wertvolle Trümmer
Metalle, Steine und die Zimmermannsarbeiten etwa können nun besser erforscht werden. «Das Holz hätten wir natürlich lieber intakt gehabt», sagt Regert.
Doch auch das beschädigte Holz erlaube es, die Konstruktionstechnik zu untersuchen oder Erkenntnisse über das Klima zu gewinnen. Das Holz stammt zu einem grossen Teil noch aus dem Hoch-Mittelalter.
Umfassende Analyse
Das Forschungsprojekt umfasst mehrere Fachbereiche: Das Mauerwerk, Materialien wie Holz, Metall oder Glas werden untersucht. Die originale Akustik soll rekonstruiert werden, auch anthropologische Recherchen werden durchgeführt. Digitale Datensammlungen werden alle Veränderungen der Kathedrale dokumentieren.
Auf Martine Regert und den Co-Projektleiter Philipp Dillmann kommt ein grosser Koordinationsaufwand zu. «Die Forschungseinheiten funktionieren autonom, tauschten sich aber ständig aus», sagt Regert. «Auch mit dem Kulturministerium, dessen archäologische Dienste ebenfalls mitarbeiten.»
Ein breit angelegtes Vorhaben also. Einen genauen Fokus könne sie nur schwer formulieren. «Manche Erkenntnisse werden in die Restaurierung einfliessen. Andere werden uns Auskunft über die Bautechnik der Kathedrale geben, übers Klima und die Herkunft der Materialien», sagt Regert.
«So können wir die Handels- und Nachschubwege von Paris rekonstruieren. Oder die Wiederverwendung von Materialien bei früheren Restaurierungen untersuchen.»
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
Einen gemeinsamen Nenner sieht die Archäologin Martine Regert jedoch. «Es geht darum, die Wissenschaften voranzubringen, die sich mit der Vergangenheit beschäftigen, und gleichzeitig den Blick auf die Zukunft zu richten», sagt sie. Mit dieser Kathedrale habe man eine sehr schöne Dialektik zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
«Wir erforschen die historischen Techniken und Beziehungen zur Umwelt, und stellen Fragen zum Zustand und der Veränderung des Gebäudes», sagt die Forscherin. «Immer mit Blick auf seine Geschichte. Damit diese trotz des Brandes weitergeht.»
Auf sechs Jahre ist das Notre-Dame-Forschungsprojekt angelegt. Der Wiederaufbau soll in kürzerer Zeit erfolgen.