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Nach Partygate & Co. Philosophin: «Niemand muss eine Entschuldigung annehmen»

«Entschuldigung.» – «I’m sorry!» Immer häufiger bitten prominente Leute um Nachsicht. Zuletzt hat sich der englische Premier Boris Johnson für seine Partys während der Pandemie entschuldigt, Designer Wolfgang Joop für frauenfeindliche Aussagen. Und der deutschen Ex-Kanzlerin Angela Merkel tat nachträglich der Lockdown über Ostern leid.

Die Entschuldigungs-Expertin Carina Pape über Fehler und Verantwortung, die Kunst des Kompromisses und die feinen, kulturellen Unterschiede.

Carina Pape

Philosophin

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Carina Pape forscht vor allem über die Frage, wie das leibliche Dasein und die individuelle Perspektive auf die Welt unser Denken und soziale Beziehungen prägen.

SRF: Kann man Entschuldigungen wie die von Boris Johnson überhaupt ernst nehmen?

Jede Entschuldigung kann zumindest in Frage gestellt werden. Mit einer Entschuldigung kann ich ja ausdrücken, dass ich meine Verantwortung für etwas übernehme. Ich kann damit aber auch jemand anderen beschuldigen.

Gerade in der Politik stellt sich immer die Frage, was Strategie ist und was ernst gemeint. Insofern ist eine Entschuldigung immer ein Kompromiss. Die Frage ist aber auch, was stärker wiegt: Ist es die Reue, die jemand bekundet? Oder habe ich mehr davon, wenn ich mich – zumindest offiziell – entschuldige?

Entschuldigungen machen Fehler nicht rückgängig. Nützen sie also mehr dem Täter als dem Opfer?

Eine Entschuldigung kommt immer dann, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Ich entschuldige mich immer für etwas, was schon passiert ist.

Auch da stellt sich wieder die Frage: Wie aufrichtig ist das gemeint? Sage ich jetzt also, es tut mir leid, ich habe einen Fehler gemacht? Das hörte man bei Boris Johnson bis jetzt nie.

Auch die Adressaten einer Entschuldigung haben eine gewisse Verantwortung.

Überhaupt hört man in der Politik selten: «Es tut mir leid, ich habe einen Fehler gemacht», ohne dass gleich ein grosses Aber hinterherkommt. Gerade in der Politik wird eine Entschuldigung oft stark relativiert.

Müssen die Adressaten von Entschuldigungen diese überhaupt annehmen?

Niemand muss eine Entschuldigung annehmen. Aber es stellt sich natürlich auch hier die Frage, in welchem Kontext diese Entschuldigung stattfindet.

Wenn ich im privaten Bereich eine Entschuldigung nicht annehme, hat das eine negative Konsequenz – für meine Freundin, die sich bei mir entschuldigt, aber auch für mich. Als Adressaten müssen wir also ein Stück weit einen Kompromiss eingehen.

Wir entschuldigen uns immer erst dann, wenn schon ein Vorwurf im Raum steht.

In der Politik geht es oft um die Frage: Ist es gut, wenn ich vergebe? Wenn ich zum Beispiel eine Person, die etwas Furchtbares getan hat, vergebe, könnte das sogar schlecht sein. Weil ich ihr damit beistehe. Weil ich mich im Extremfall mitschuldig mache, wenn ich zu dieser Person halte.

Auch die Adressaten einer Entschuldigung haben also eine gewisse Verantwortung.

In Ihrer Arbeit vergleichen Sie Entschuldigungskulturen in verschiedenen Ländern. Gibt es da wesentliche Unterschiede?

Die Praktiken sind teilweise sehr unterschiedlich. Ich habe europäische Kulturen mit der japanischen verglichen. In Deutschland, Grossbritannien, aber auch in Russland haben wir eigentlich eine Be- und Entschuldigungskultur.

Wir entschuldigen uns eigentlich immer erst dann, wenn schon ein Vorwurf im Raum steht. In Japan übernehmen die Leute viel schneller Verantwortung für etwas, ohne dass es vorher einen Vorwurf gab.

Und in Europa?

Wir entschuldigen uns tatsächlich. Wenn ich sage: «Entschuldige», dann ist das ja eine Aufforderung zu sagen: «Okay, es ist doch nicht so schlimm.» Ich erwarte von meinem Gegenüber, dass meine Schuld zumindest ein Stück weit vergeben wird. Im Japanischen wird das Gegenteil ausgedrückt. Da sagt man: «Ich habe etwas falsch gemacht.» Ohne Wenn und Aber.

Letztlich geht es aber in allen Kulturen immer um diesen Kompromiss, den ich eingangs erwähnt habe. Es geht darum, einerseits Verantwortung für den eigenen Fehler zu übernehmen, aber gleichzeitig auch das Gesicht zu wahren.

Das Gespräch führte Vanda Dürring.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 3.2.2022, 7:06 Uhr ; 

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