Da ist dieses Foto aus dem Jahr 1964. Es zeigt einen älteren Herrn, der mit seinem Mercedes beim Drive-In-Schalter einer Bank im Zürcher Hochhaus «Zur Palme» vorfährt. Pikantes Detail: Der Mann steigt aus seinem Wagen, um zu Fuss zum Schalter zu gehen.
Da habe einer also nicht begriffen, schmunzelt Eric Wegerhoff, Autor des Buches «Automobil und Architektur», «dass er seine Geschäfte vom Wagen aus erledigen könnte.» Der Drive-In-Schalter ist damals ein neuer Gebäudetyp, geschaffen für das Auto, ähnlich wie Motels und Waschanlagen, Parkhäuser oder Autobahnraststätten.
Ein «kreativer Konflikt»
Der wichtigste Einfluss des Autos auf die Architektur liegt darin, dass Autos sich bewegen – Gebäude jedoch nicht. Das habe einen kreativen Konflikt ausgelöst, sagt Erik Wegerhoff, der an der ETH Zürich lehrt. Und zuerst: Panik bei den Architektinnen und Architekten im frühen 20. Jahrhundert.
«Man dachte, dieses Ding ist ja unterwegs», sagt Wegerhoff, «und zwar nicht nur von A nach B, sondern in eine vielversprechende Zukunft.» Das Versprechen dieser automobilen Bewegung musste die Architektur erst einmal einlösen. Das sah man zumindest in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts so.
Neue Formensprache
Damals waren die Städte eng und nicht für Tempo und Raumbedarf des neuen Fahrzeugs angelegt. Strassen mussten her und neue architektonische Formen entstanden, wie sie etwa das Mossehaus in Berlin aufweist, das Erich Mendelssohn ab 1921 stromlinienförmig umbaute.
Oder Le Corbusiers Atelierhaus in Paris für den Maler Amédée Ozenfant mit einer Autogarage, die fast das ganze Erdgeschoss einnimmt und direktem Aufgang hoch zum Atelier.
«Wahrscheinlich hatte diese bewegungsaffine Architektur ihre Hochzeit in den 1950er- und frühen 1960er-Jahren», sagt Wegerhoff. In dieser Zeit habe sich auch eine Art modernistisches Formenvokabular ausgebildet. Es sei jedoch nicht immer theoretisch so fundiert gewesen wie das von Erich Mendelsohn oder Le Corbusier.
Das Interesse der Architektur am Automobil habe danach merklich nachgelassen. Auch weil viele Büros nach Wegerhoffs Ansicht kaum Bemerkenswertes entworfen hätten. Die Möglichkeit, die Städte mit dem Auto zu erschliessen, habe laut Wegerhoff ausserdem dazu geführt, «dass sich so sehr vieles räumlich zerfasert.» Dessen sei man sich mittlerweile immerhin bewusst.
Dieses Buch verändert den Blick
Erik Wegerhoff überblickt in seinem Buch das gesamte 20. Jahrhundert, gegliedert in die drei Kapitel «Beschleunigung», «Schalten» und «Abbremsen» – passend zum Tenor der jeweiligen Debatten.
Am Anfang stand die Geschwindigkeitseuphorie der 1920er- und 1930er-Jahre. Es folgte die Erfindung des reglementierten Parkplatzes in den 1950er-Jahren. Ab den 1990er-Jahren wurde Kritik an automobilzentrierten Architekturkonzepten laut.
Das Buch «Automobil und Architektur» verändert unseren Blick aus dem Fenster. Dort draussen sehen wir Autos und Strassen und Häuser. Alle haben sehr viel miteinander zu tun.