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Automobil und Architektur: Die Geschichte einer Wechselwirkung
Aus Kultur-Aktualität vom 19.02.2024. Bild: Getty Images / Aladdin Color Inc
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Nachhaltige Wechselwirkung Als das Automobil der Architektur Beine machte

Abgefahren! Ein sehenswertes Sachbuch zeigt, wie das Auto die Architektur des 20. Jahrhunderts beeinflusst hat – und das bis heute tut.

Da ist dieses Foto aus dem Jahr 1964. Es zeigt einen älteren Herrn, der mit seinem Mercedes beim Drive-In-Schalter einer Bank im Zürcher Hochhaus «Zur Palme» vorfährt. Pikantes Detail: Der Mann steigt aus seinem Wagen, um zu Fuss zum Schalter zu gehen.

Ein Mann neben einem weissen Mercedes macht sich an einer Glastüre zu schaffen.
Legende: Er hätte doch gar nicht aussteigen müssen: ein älterer Herr mit alten Reflexen vor einer Zürcher Bank mit einem damals noch neuen «Drive-in-Schalter». Walter Binder / gta Archiv / ETH Zürich, Haefeli Moser Steiger

Da habe einer also nicht begriffen, schmunzelt Eric Wegerhoff, Autor des Buches «Automobil und Architektur», «dass er seine Geschäfte vom Wagen aus erledigen könnte.» Der Drive-In-Schalter ist damals ein neuer Gebäudetyp, geschaffen für das Auto, ähnlich wie Motels und Waschanlagen, Parkhäuser oder Autobahnraststätten.

Ein «kreativer Konflikt»

Der wichtigste Einfluss des Autos auf die Architektur liegt darin, dass Autos sich bewegen – Gebäude jedoch nicht. Das habe einen kreativen Konflikt ausgelöst, sagt Erik Wegerhoff, der an der ETH Zürich lehrt. Und zuerst: Panik bei den Architektinnen und Architekten im frühen 20. Jahrhundert.

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Erik Wegerhoff: Wie das Auto die Architektur prägt
aus Kultur-Talk vom 27.02.2024. Bild: Keystone/Photopress-Archiv/STR
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«Man dachte, dieses Ding ist ja unterwegs», sagt Wegerhoff, «und zwar nicht nur von A nach B, sondern in eine vielversprechende Zukunft.» Das Versprechen dieser automobilen Bewegung musste die Architektur erst einmal einlösen. Das sah man zumindest in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts so.

Neue Formensprache

Damals waren die Städte eng und nicht für Tempo und Raumbedarf des neuen Fahrzeugs angelegt. Strassen mussten her und neue architektonische Formen entstanden, wie sie etwa das Mossehaus in Berlin aufweist, das Erich Mendelssohn ab 1921 stromlinienförmig umbaute.

Ein Haus mit runder Formensprache.
Legende: Das Mossehaus in Berlin-Mitte gehört nach einem Umbau durch Erich Mendelsohn zu den Vorzeige-Vertretern der sogenannten «Stromlinien-Moderne». Jörg Zägel / Wikipedia

Oder Le Corbusiers Atelierhaus in Paris für den Maler Amédée Ozenfant mit einer Autogarage, die fast das ganze Erdgeschoss einnimmt und direktem Aufgang hoch zum Atelier.

«Wahrscheinlich hatte diese bewegungsaffine Architektur ihre Hochzeit in den 1950er- und frühen 1960er-Jahren», sagt Wegerhoff. In dieser Zeit habe sich auch eine Art modernistisches Formenvokabular ausgebildet. Es sei jedoch nicht immer theoretisch so fundiert gewesen wie das von Erich Mendelsohn oder Le Corbusier.

Eine bewachsene Fassade.
Legende: Steht im 14. Arrondissement in Paris: Das 1922 von Le Corbusier für den Maler Amédée Ozenfant entworfene Wohnhaus und Atelier, zu dem auch eine grosse Garage gehört. Wikimedia

Das Interesse der Architektur am Automobil habe danach merklich nachgelassen. Auch weil viele Büros nach Wegerhoffs Ansicht kaum Bemerkenswertes entworfen hätten. Die Möglichkeit, die Städte mit dem Auto zu erschliessen, habe laut Wegerhoff ausserdem dazu geführt, «dass sich so sehr vieles räumlich zerfasert.» Dessen sei man sich mittlerweile immerhin bewusst.

Dieses Buch verändert den Blick

Erik Wegerhoff überblickt in seinem Buch das gesamte 20. Jahrhundert, gegliedert in die drei Kapitel «Beschleunigung», «Schalten» und «Abbremsen» – passend zum Tenor der jeweiligen Debatten.

Die Auffahrt eines Parkhauses.
Legende: So schön kann es aussehen, wenn Architektur die Kurve kriegt: die Auffahrt zum Parkdeck des Hochhauses zur Palme in Zürich-Enge, erbaut von Haefeli Moser Steiger (1956 – 1964). gta Archiv / ETH Zürich, Haefeli Moser Steiger

Am Anfang stand die Geschwindigkeitseuphorie der 1920er- und 1930er-Jahre. Es folgte die Erfindung des reglementierten Parkplatzes in den 1950er-Jahren. Ab den 1990er-Jahren wurde Kritik an automobilzentrierten Architekturkonzepten laut.

Das Buch «Automobil und Architektur» verändert unseren Blick aus dem Fenster. Dort draussen sehen wir Autos und Strassen und Häuser. Alle haben sehr viel miteinander zu tun.

Buchhinweis

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Erik Wegerhoff: «Automobil und Architektur», Wagenbach, Berlin (2023).

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Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 19.02.2024, 8:06 Uhr.;

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