Früher schrieb John Perry Barlow Songtexte für The Grateful Dead, nahm LSD und züchtete Rinder in Wyoming. Dann kam das Internet.
Barlow nutzte das Internet bereits zu einer Zeit, als die meisten noch Briefe schrieben und den Brockhaus als Informationsquelle benutzten, nämlich Mitte der 1980er-Jahre. Er wurde zum Pionier, der sich früh mit Netzthemen auseinandersetzte. Das Internet stand für ihn für die Freiheit, von der er immer geträumt hatte.
Barlow witterte Gefahr
Barlow rief zusammen mit einem Softwaremillionär die «Electronic Frontier Foundation» ins Leben, die noch heute für freie Netze und gegen Überwachung kämpft. Und er ist Mitbegründer der «Freedom of the Press Foundation», zu der auch Edward Snowden und Laura Poitras gehören.
Seine «Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace» schrieb John Perry Barlow 1996 – als Reaktion auf ein neues Gesetz. Der sogenannte Telecommunications Act sollte den Telekommunikationssektor kommerzialisieren und die Redefreiheit zum Zweck des Jugendschutzes einschränken. Barlow witterte Gefahr für die Freiheit des Netzes. Und begann zu schreiben.
«Lasst uns in Ruhe!»
«Regierungen der industriellen Welt, Ihr müden Giganten aus Fleisch und Stahl, ich komme aus dem Cyberspace, der neuen Heimat des Geistes. Im Namen der Zukunft bitte ich Euch, Vertreter einer vergangenen Zeit: Lasst uns in Ruhe! Ihr seid bei uns nicht willkommen ...»
In diesem feierlichen Ton geht Barlows «Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace» weiter. Sinngemäss schrieb er, die Regierungen sollen die Finger vom Cyberspace lassen. Das Netz sei demokratisch und es herrsche Redefreiheit.
Ausserdem, so Barlow, sei der Cyberspace körperlos. Man würde selber eine eigene Ethik entwickeln – und im Netz sei alles gratis.
Vorbild für den «Chaos Computer Club»
Es ist erstaunlich, wie viele Themen Barlow bereits vor über 20 Jahren angesprochen hat. Noch heute bezieht sich der Hackerverein Chaos Computer Club (CCC) auf einige Stellen seines Manifestes. Denn auch der CCC kämpft für freien Zugang zu Information sowie sichere Datenübermittlung im Netz und wehrt sich gegen staatliche Überwachung und Internetzensur.
Hernani Marques, Aktivist und Pressesprecher vom Schweizer Ableger des CCC, erwähnte in einem Gespräch 2016 aber auch Punkte in Barlows Manifest, die inzwischen anders aussehen: Die Unterscheidung von realem Leben und Cyberspace liesse sich heute nicht mehr so deutlich machen – man denke nur an die Smartphones, mit denen das Internet heute allgegenwärtig sei.
Barlow habe auch nicht vorausgesehen, wie stark das Internet automatisiert werden sollte. So würden User heute oftmals automatisch kategorisiert, eingeteilt und aussortiert, etwa von Bank- oder Zensursystemen, bei denen der Mensch keinen Einfluss mehr habe.
Viele richtige Voraussagen
In den meisten Punkten aber hätte Barlow vieles richtig eingeschätzt, sagte Marques vor 2 Jahren: «Er hat richtig analysiert, dass es Versuche geben wird, die Herrschenden – seien es die Staaten oder die Privatwirtschaft – versuchen, mit Zensur und Überwachung das Internet zu kontrollieren. Spätestens seit Snowden ist allen klar geworden, dass die Situation masslos ausgeartet ist.»
Allerdings, so Marques, sei die Situation mittlerweile bedenklicher geworden als es Barlow befürchtet hatte. Bezüglich der Freiheit im Netz stünden wir an einem Wendepunkt: «Wenn wir nicht politisch und technisch dafür sorgen, dass die Leute die Freiheit im Internet wahren können, verliert das Netz die Befreiungskomponente, die es ursprünglich hatte.»
In manchen Punkten utopisch
Aus heutiger Sicht ist das Manifest also vielleicht in manchen Punkten utopisch. Und doch: Die «Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace» gilt bis heute als einer der am häufigsten kopierten Texte in der Geschichte des Internets. Die Hinterlassenschaft des Internetpioniers John Perry Barlow, der am Mittwochmorgen im Alter von 70 Jahren verstorben ist.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kulturnachrichten, 8.2.2018, 16.30 Uhr