Das Wichtigste in Kürze
- In der Schweiz ist die Bereitschaft kleiner geworden, Nachbarn freiwillig mit kleinen Hilfsarbeiten zu unterstützen.
- Hier springt der Basler Verein Nachbarnet ein: Jede und jeder kann in seinem Quartier Nachbarschaftshilfe anbieten oder suchen.
- Das ist für die meisten Beteiligten bereichernd – funktioniert aber nicht in allen Fällen reibungslos.
Eine Frau sucht jemanden, der mit ihrem Mops spazieren geht. Ein Mann bietet Hilfe beim Einkaufen und Handwerken an. Jemand sucht ein Sprachtandem, um Arabisch zu lernen: Auf der Basler Online-Plattform Nachbarnet kann jeder und jede mitmachen.
Das Nachbarnet funktioniert wie ein Marktplatz: Man bietet auf der Webseite des Vereins Nachbarschaftshilfe an oder sucht gezielt danach.
Niederschwellig sollen die Angebote sein: Jemandem zur Hand gehen, bevor die Spitex kommen muss, oder für eine ältere Person den Einkauf erledigen.
Zuerst nur Karteikästen
1998 wurde Nachbarnet als gemeinnütziger Verein gegründet. Damals funktionierte noch analog, erinnert sich der Geschäftsleiter Pierre-Alain Niklaus: «Die ersten Jahre gab es Karteikästen. Diese trugen wir jeden Tag in ein anderes Quartier.»
Bald wechselte man zur digitalisierten Datenbank mit einer Webseite: «Aber nach wie vor kann man auch alles ohne Internet abwickeln. Es gibt eine bediente Vermittlungsstelle.»
Für diese sind der gelernte Sozialarbeiter Niklaus und eine Kollegin zuständig. Sie nehmen Angebote und Nachfragen entgegen und helfen weiter. Das Büro befindet sich in einem alten Gebäude inmitten eines neuen Quartiers, des Erlenmattquartiers , das auf dem ehemaligen Areal der Deutschen Bahn seit gut zehn Jahren entsteht.
Erweiterte Nachbarschaft
Seit der Gründung vor 20 Jahren haben rund 12000 Personen das Nachbarnet in Anspruch genommen. Dass es erfunden wurde, hat mit dem gesellschaftlichen Wandel zu tun, sagt Pierre-Alain Niklaus.
«Die Lohnarbeit in der Schweiz ist stressiger geworden. Immer mehr Frauen arbeiten. Freiwilligenarbeit in der Nachbarschaft war früher eine klassische Frauendomäne – zumindest unter der Woche.» Der Mann sei eher am Wochenende eingesprungen, etwa um für die ältere Nachbarin den Rasen zu mähen.
Die Zeit für Freiwilligenarbeit ist in den letzten Jahrzehnten geschwunden. Das Nachbarnet – und andere, ähnliche Nachbarschaftsinitiativen im Netz – möchte diese Lücke wieder schliessen: Nachbarschaft dort ermöglichen, wo sie im Alltag nicht von alleine funktioniert. «Wir erweitern die Nachbarschaft künstlich», so Niklaus.
Sackgeld statt Pralinen
Rückläufig ist die Nachbarschaftshilfe laut Pierre Alain Niklaus noch aus einem anderen Grund: Viele Menschen koste es Überwindung, bei den Nachbarn zu klingeln und sie um einen Gefallen zu bitten.
Wer es doch tut, der verdankt den Gefallen meist mit einer Flasche Wein oder einer Schachtel Pralinen. Gratis nimmt man in der Schweiz die kleine Hilfeleistung selten an.
«Man erwartet im sozialen Zusammenleben auch, dass, wer Hilfe leistet, irgendwann einmal etwas zurückbekommt», sagt Pierre-Alain Niklaus: «Gerade für ältere Menschen ist das aber schwierig, weil sie nicht mehr viel zurückgeben können.»
In der virtuellen Nachbarschaft des Nachbarnets gilt daher das «Sackgeld-Prinzip»: Wer Unterstützung in Anspruch nimmt, bezahlt der helfenden Person in der Regel 10 bis 15 Franken pro Stunde.
Klare Spielregeln
Ganz unbestritten ist dieses Sackgeld-Modell nicht, sagt Pierre-Alain Niklaus. Man wolle vermeiden, dass qualifizierte Leute aus Not ihre Professionalität zu Dumpinglöhnen anbieten – zum Beispiel in der Pflege.
Deswegen sind auf der Website zehn Regeln zu finden, die das Nachbarnet definieren. Da heisst es unter anderem: «Alle Tätigkeiten sind gleich viel wert. Wer in erster Linie Geld verdienen will, soll andere Plattformen benutzen.»
Pierre-Alain Niklaus und seine Kollegin überprüfen die Inserate und sind die Schaltstelle, die Angebot und Nachfrage zusammenbringen.
Aus virtuellen Nachbarn werden reale
Manchmal schlichten sie auch. Etwa als ein Helfer an den neu gekauften Schränken einer Frau herumnörgelte. Niklaus sagt schmunzelnd: «Unterschiedliche Lebensstile muss man schon akzeptieren, wenn man mitmachen will.»
Ab und zu gelingt ihnen auch eine Überraschung, sagt der Sozialarbeiter. Vor kurzem habe etwa eine ältere Frau jemanden gesucht, der ihren blinden Hund ausführen kann.
«Sie wohnte in einem grossen Wohnblock mit 50 Mietpartien. Im gleichen Haus bot eine andere Frau älteren Menschen Hilfe an», erinnert sich Niklaus: «Die beiden Frauen kannten sich vielleicht vom Sehen, aber nicht persönlich. Wir haben sie zusammengebracht – und damit auch etwas gegen die Anonymität getan.»
Manchmal also wird aus der virtuellen Nachbarschaft plötzlich eine echte.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 9.1.18, 9.02 Uhr