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Napoleon und die Schweiz Wie Napoleon die Schweiz in die Moderne katapultierte

Vor 200 Jahren starb Napoleon Bonaparte. Er förderte im 19. Jahrhundert die Entstehung der modernen Schweiz: fünf Beispiele.

1. Der Retter vor dem Untergang

Es sah böse aus für die Schweiz zu Beginn des 19. Jahrhunderts: Das Land war drauf und dran, sich selbst zu zerfleischen und womöglich gar von der europäischen Landkarte zu verschwinden.

Was war geschehen? 1798 hatten französische Truppen die Alte Eidgenossenschaft besetzt. Es war das Ende des überkommenen Ancien Régimes.

Die von revolutionärem Geist beseelten Invasoren griffen durch: Schluss mit der Selbstbestimmung der einzelnen Orte. Schluss mit Untertanengebieten.

Das Land wurde zur «Helvetischen Republik», einem Einheitsstaat nach französischem Vorbild. Die Kantone hatten nichts mehr zu sagen. Die ehemaligen Untertanen wurden frei und es galt Rechtsgleichheit für alle.

Was gut klingt, kam nicht bei allen gut an: Es gab Unruhen und Aufstände, Föderalisten gegen Zentralisten. Es herrschte Bürgerkriegsstimmung.

Der Thuner Offizier Karl Koch schrieb: «Gebe uns der Himmel einen Meister, dem wir alle gehorchen müssen! Damit die ewigen Umwälzungen und Aufstände aufhören müssen.»

Der herbeigesehnte Meister sass in Paris: Napoleon Bonaparte. Durch einen Staatsstreich hatte er sich 1799 an die Spitze Frankreichs geputscht. Und was in der Schweiz abging, gefiel ihm ganz und gar nicht.

Aufstieg und Fall des Napoleon Bonaparte

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Gemälde: Napoleon in rotem Anzug vor einem Fenster
Legende: Getty Images / John Parrot / Stocktrek Images

Napoleone Buonaparte (1769-1821) kam in Ajaccio auf Korsika zur Welt. Schnell machte er Karriere, auch indem er sich den Jakobinern andiente.

1799 putschte er sich in Frankreich an die Macht. Als Erster Konsul und Alleinherrscher bekämpfte er in Frankreich die royalistische und gemässigt revolutionäre Opposition.

Nach aussen führte er häufig Krieg - gegen Sardinien-Piemont, Österreich, Preussen, England und Russland. Nachdem ihm das Volk und der Senat die Kaiserwürde angetragen hatten, setzte er sich Ende 1804 in Notre-Dame selbst die Krone auf. Im selben Jahr erliess er den «Code Napoléon», einen Meilenstein des Zivilrechts.

Nach dem Desaster des Russlandfeldzugs setzte der Senat 1814 den Kaiser ab und verbannte ihn nach Elba. Nach einem Jahr kehrte er triumphal zurück und übernahm erneut die Herrschaft. In 100 Tagen besiegte die britisch-österreichisch-preussisch-russische Allianz Napoleons Streitkräfte bei Waterloo. Ein Schiff verfrachtete ihn in die Verbannung nach St. Helena im Südatlantik, wo er am 5. Mai 1821 starb. (zehr)

Er wünschte sich als Nachbarn einen friedlichen und gehorsamen Satelliten, eine Pufferzone zum absolutistisch regierten Kontrahenten Österreich. Auch wollte Napoleon einen ungehinderten Zugang zu Norditalien. Und er versprach sich aus der Schweiz Kapital und Soldaten.

1802 entschloss er sich zu einem machiavellistischen Manöver: Napoleon zog die in der Helvetischen Republik noch verbliebenen französischen Soldaten ab.

Der Plan ging auf: In der Ost- und Zentralschweiz brach ein Aufstand der konservativen Föderalisten aus. Die helvetische Regierung ersuchte Napoleon um Hilfe.

Schwarz-Weiss Bild von Männern aus dem 19. Jahrhundert, die ein Dokument austauschen
Legende: Die Mediationsverfassung von 1803 markierte das Ende der Helvetischen Republik. Napoleon stellte damit den Staatenbund der Kantone wieder her. Getty Images / PHAS / Universal Images Group Editorial

So verordnete Napoleon der Schweiz 1803 eine neue Verfassung, die sogenannte Mediationsakte. Sie machte das Land zu einem französischen Vasallen.

Aber sie schuf Frieden – und stoppte den im Innern des Alpenlands besorgniserregend schnell voranschreitenden staatlichen Zerfall.

2. Der Schöpfer der Kantone

Die Friedensrezeptur der Mediationsakte bestand darin, dass sie vieles der 1798 untergegangenen Ordnung der Alten Eidgenossenschaft restaurierte.

Das Wichtigste: Napoleon schaffte den helvetischen Einheitsstaat der Helvetik wieder ab. Die «Schweizerische Eidgenossenschaft», wie das Land nun erstmals offiziell hiess, war wieder ein Staatenbund.

Napoleon erklärte in Paris einer aus der Schweiz angereisten Delegation von Abgeordneten, wie wenig sich das Land für einen Zentralstaat eigne: «Wäre der erste Landammann von Zürich, so wären die Berner unzufrieden. Wählt Ihr einen Berner, so schimpfen die Zürcher. Wählt ihr einen Protestanten, so widerstreben alle Katholiken.»

Es gehörte zu Napoleons politischem Genie zu erkennen, dass die Selbstbestimmung der Kantone – vulgo «Kantönligeist» – untrennbar zur politischen Kultur der Schweiz gehörte. Und so führte er die Hoheit der Kantone wieder ein: Im Ganzen bestand die Eidgenossenschaft nun aus 17 Voll- und vier Halbkantonen.

Zusätzlich die alten Untertanengebiete wieder einzuführen, wäre dem französischen Machthaber dann aber doch zu weit gegangen. Und so bestimmte er, dass einstige Gemeine Herrschaften wie der Thurgau oder das Tessin zu eigenen und gleichberechtigten Kantonen wurden.

Auf diese Weise schuf Napoleon jene föderale Ordnung, die in den Grundzügen bis heute gültig geblieben ist.

3. Der Initiator des Stabschefs

Eine eigentliche Landesregierung, die über den Kantonen stand, gab es in der Schweiz nach Napoleons Zuschnitt nicht. Jeder Kanton wurstelte für sich selbst.

Statue von Napoleon in Aargau
Legende: Napoleon schuf in der Schweiz die föderale Ordnung, die in den Grundzügen bis heute geblieben ist. Keystone / STEFFEN SCHMIDT

Der französische Regent setzte lediglich einen «Landammann der Schweiz» ein. Seine wichtigste Aufgabe bestand darin, Anweisungen aus Paris entgegenzunehmen – etwa Kontingente mit Schweizer Soldaten für die französische Armee bereitzustellen.

Zur Umsetzung der Befehle aus dem Ausland standen dem Landammann mehrere Beamte zur Seite: Dazu gehörte auch ein sogenannter Bundeskanzler, ein Amt, das es in geänderter Form bis heute gibt – als Stabschef oder Stabschefin des Bundesrats.

4. Der Wegbereiter des modernen Rechts

Napoleon erliess 1804 den sogenannten «Code Civil», eines der bedeutendsten Gesetzeswerke im damaligen Europa.

Der «Code Civil» war stark beeinflusst von den Idealen der Französischen Revolution und garantierte die Gleichheit aller vor dem Gesetz oder den Schutz der Freiheit des Individuums. Napoleon führte den «Code Civil» nicht nur in Frankreich, sondern auch in eroberten Ländern ein.

Bis heute sind in vielen Staaten die aktuellen Zivilgesetzbücher vom napoleonischen Gesetzeswerk geprägt. Auch in der Schweiz: Der «Code Civil» bildete eine der wichtigsten Grundlagen für das 1907 vollendete Schweizer Zivilgesetzbuch.

5. Der Beförderer der Industrie

Napoleon beherrschte zwischenzeitlich fast ganz Europa. An Russland scheiterte er. Und auch an Grossbritannien.

Bei letzterem versuchte er es ab 1806 mit einem erbarmungslosen Wirtschaftskrieg: Mit der sogenannten Kontinentalsperre riegelte er Grossbritannien wirtschaftlich vom Festland ab. Acht Jahre lang.

In der Schweiz wurde die Baumwolle knapp, die man bislang zu einem guten Teil von britischen Lieferanten bezogen hatte. Allerdings fiel gleichzeitig auch die billige Konkurrenz an Textilien aus dem wirtschaftlich weiter vorangeschrittenen Grossbritannien weg. Dies bot findigen Schweizer Unternehmern die einmalige Chance, im Schutz der Wirtschaftsblockade Investitionen in die eigene Textilproduktion zu tätigen: Während der Kontinentalsperre entstanden in der Schweiz Dutzende mechanische Spinnereien.

Diese Anlagen bildeten eine wichtige Voraussetzung für die Industrialisierung der Schweiz. Sie nahm in den Jahren und Jahrzehnten nach Napoleon Fahrt auf und verwandelten das Land in eine erfolgreiche Wirtschaftsnation.

Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 5.5.2021, 09:02 Uhr.

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