Der Einband ist aus Eichenholz, der Rand des Buchdeckels ist aus Gold und mit Edelsteinen versetzt. In der Mitte prangt ein Relief aus kostbarstem Elfenbein: Das Evangelium Longum ist Luxus pur.
«Die Handschrift ist tatsächlich aussergewöhnlich», schwärmt Peter Jezler, der Kurator der neuen Dauerausstellung im St. Galler Stiftsbezirk.
Er muss es wissen. Der ehemalige Direktor des Historischen Museums Bern und des Museums zur Allerheiligen in Schaffhausen ist ein erfahrener Ausstellungsmacher.
Doch nicht nur der Prunk des Buches ist besonders: «Wir kennen die Namen der Künstler, des Schreibers, des Goldschmieds und der Geldgeberin», sagt Jezler. Für ein Buch aus dem 9. Jahrhundert ist dies alles andere als selbstverständlich.
Auch die Geschichte der Entstehung ist bekannt: Es ist eine Gaunergeschichte.
Wenn das Kloster vom Bischof klaut
Hatto, der Erzbischof von Mainz, hatte dem St. Galler Abt Salomo seinen Schatz zur Verwahrung übergeben, als er nach Italien reiste. Der Abt allerdings bediente sich aus den Kostbarkeiten. «Salomo zweigte kurzerhand die Elfenbeintafeln ab, um sie fürs Evangelium Longum zu verwenden», erklärt Jezler.
Der St. Galler Mönch Tuotilo fertigte die Schnitzereien an. Als Erzbischof Hatto von seiner Reise zurückkam, wurde er vor vollendete Tatsachen gestellt.
Hohe Investitionen
Das Evangelium Longum steht im Zentrum der neuen Ausstellung über die Kulturgeschichte des St. Galler Stiftsbezirks. Die Schau «Gallus und sein Kloster» erzählt die Geschichte des Klosters von der Gründung durch den irischen Wandermönch Gallus bis zur Fürstabtei mit ihrem Prunk und ihren Streitereien mit der reformierten Stadt St. Gallen.
Jezler und sein Auftraggeber, der Stiftsbibliothekar Cornel Dora, haben für die Ausstellung keine Mühen gescheut.
Jezler hat einen Film gedreht und in der Ausstellung steht eine neue Gallus-Wachsfigur. Um sie lebensecht aussehen zu lassen, wurden ihr 150'000 Haare eingezogen, um einen Grossteil danach wieder zu rasieren. Das Resultat ist erstaunlich.
Eine Million Franken hat sich der Stiftsbezirk die neue Ausstellung kosten lassen. «Wir waren nicht mehr auf dem neusten Stand der Technik», erklärt Stiftsbibliothekar Cornel Dora.
Einzigartige Objekte
Um dies zu ändern, gibt es nun Tablets mit Informationen zu den Ausstellungsgegenständen – in sieben Sprachen, darunter Chinesisch und Japanisch.
Neben der neuen Dauerausstellung über die Kulturgeschichte des Klosters gibt es ab Frühling eine zweite permanente Ausstellung über «Das Wunder der Überlieferung». Im Sommer folgt dann eine Schau über den Abt Otmar von St. Gallen, der vor genau 1300 Jahren das Kloster so richtig lancierte.
Die neuen Angebote sollen mehr Besucherinnen und Besucher anlocken. Dafür wurde auch das Marketingbudget erhöht. «Wir wollen eine bessere Vermittlung dieses Wunders der Übermittlung erreichen, das wir hier in St. Gallen hüten dürfen», sagt Stiftsbibliothekar Cornel Dora.
Nirgends in Europa gebe es eine vergleichbare Dichte an Handschriften und Urkunden wie in St. Gallen. Bisher haben die Besucherinnen und Besucher davon nicht viel mitgekriegt. Das soll sich jetzt ändern.