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Enzyklika «Fratelli tutti» – Reaktionen und Einschätzungen
Aus Blickpunkt Religion vom 11.10.2020. Bild: Getty Images / Franco Origlia
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Neue Enzyklika Kitsch oder Sozialrevolution? Der Papst spaltet die Meinungen

In der neuen Enzyklika fordert Papst Franziskus globale Geschwisterlichkeit und ein Ende der Zerstörung des Planeten. Doch davon sind nicht alle begeistert.

«Fratelli tutti. Geschwisterlichkeit und die soziale Freundschaft» heisst die neue Sozialenzyklika von Papst Franziskus, die seit ihrer Veröffentlichung für Aufruhr sorgt.

Nach Protesten, nicht zuletzt von Ordensfrauen, sei dem Titel «Brüder alle» die «Geschwisterlichkeit» beigesellt worden, kolportiert der Katholische Nachrichtendienst KNA.

Standpauke für die Menschheit

Doch der Schweizer Bischofskonferenz sind immer noch zu wenig Frauen im Papstschreiben. Trotz gendergerechter Sprache werden in der Enzyklika mehrheitlich Männer zitiert.

Was ist eine Enzyklika?

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Enzykliken gelten als die wichtigsten Lehrschreiben von Päpsten. In diesen Rundschreiben nehmen Päpste zu grundlegenden theologischen und gesellschaftlichen Fragen Stellung. Eine Enzyklika gilt auch über den Tod des Papstes hinaus.

Die Enzyklika über solidarische Geschwisterlichkeit kann im weitesten Sinne also auch als Testament von Papst Franziskus gesehen werden.

Die spirituell-politischen Anliegen des Papstes teilt die Schweizer Bischofskonferenz aber. Die Enzyklika sei ein «universeller Aufruf zum Dialog». Eine «pandemische Gewissensprüfung». Man könnte auch sagen: Eine Standpauke für die Menschheit.

«Angesichts gewisser gegenwärtiger Praktiken, andere zu beseitigen oder zu übergehen, sind wir in der Lage, darauf mit einem neuen Traum der Geschwisterlichkeit und der sozialen Freundschaft zu antworten, der sich nicht auf Worte beschränkt.» (Enzyklika «Fratelli tutti», in Punkt 6)

Es geht dem Papst um globale Geschwisterlichkeit. Abermals geisselt er den Kapitalismus und appelliert, sich mit allen Mitmenschen zu solidarisieren, egal welchen Geschlechts, welcher Ethnie und welcher Religion.

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Päpstliches Lehrschreiben wider die Profitgier
aus Echo der Zeit vom 04.10.2020. Bild: Keystone
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Post-Corona-Schreiben

Erstmals seit Auftreten von Covid-19 verliess der Papst den Vatikanstaat, um die Enzyklika in Assisi zu unterzeichnen. Symbolträchtig, am 3. Oktober, dem Gedenktag des Heiligen Franziskus, der für bewusste Armut und Tierfreundlichkeit steht. Um das Leben auf unserem Planeten geht es dem Papst auch in seiner dritten Enzyklika.

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Enzyklika
aus Stichwort Religion vom 04.10.2020.
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Die «Weltwoche» bezeichnet die Schrift als «Herz-Jesu-Sozialismus». «Kitschig», meint die wirtschaftsliberale Presse. «Unterkomplex» findet sie der konservative evangelische Wiener Theologe Ulrich Körtner.

Anti-Populismus, Anti-Ausgrenzung

Bei kirchlichen Umweltschutz- und Flüchtlingsorganisationen, Hilfswerken und Friedensbewegten kommt die Sozial-Enzyklika freilich gut an. Auch Linksevangelikale und christliche Sozialistinnen finden sich darin wieder.

Zwar nennt der Papst keine Politikernamen oder Staaten. Seine kritische Feder zeichnet aber die Konturen von US-Präsident Trump, respektive seiner «spaltenden Politik».

Ur-Christliche Werte

So verurteilt der Papst in Punkto «Lebensschutz» über zehnmal die Todesstrafe. Das Thema Abtreibung vertieft er neu nicht, was US-Katholiken aufhorchen lässt. Auch weil Wahlkampf in den USA ist.

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Der Papst kritisiert Todesstrafe und Waffenhandel
aus Echo der Zeit vom 24.09.2015. Bild: Keystone
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Als anti-trumpistisch kann auch die päpstliche Kritik am «entgleisenden Individualismus» gesehen werden. Auch seine Mahnung, die Grenzen nach den Lockdowns wieder zu öffnen für Menschen auf der Flucht. Muss aber nicht.

Denn sich radikal mit den Armen zu solidarisieren, so wie Jesus es tat und in seiner Nachfolge Franz von Assisi, ist ja im wahrsten Sinne «ur-christlich».

Für Menschenrechte und Gerechtigkeit

Neu ist, dass Papst Franziskus sich bei Nicht-Katholiken Inspiration holt: Er zitiert die grösste Autorität im sunnitischen Islam, den Imam der Al-Azhar-Universität in Kairo: Ahmad Muhammad al Tayyeb. Mit ihm hatte er 2019 ein Papier über «Brüderlichkeit» verfasst. In der muslimischen Welt wird das Papstschreiben nun auch gelesen.

Auch Ghandi und Martin Luther King zitiert Franziskus als Gewährsmänner für Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit. Man sieht: viele Männer.

Wie jede Enzyklika behält auch dieses lehramtliche Rundschreiben die Bedeutung für die römisch-katholische Kirche. Ob sie darüber hinaus Wirkung zeigt, steht in Zweifel. Die Reichen und Mächtigen werden sie zu ignorieren wissen.

SRF2 Kultur, Blickpunkt Religion, 04.10.2020, 08:08 Uhr.

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