Paul Sacher war ein angesehener Basler Dirigent und Kulturförderer. Doch jüngst ist ein Artikel in der Schweizer Ausgabe der «Zeit» erschienen, der seine Spuren zum Nationalsozialismus verfolgt. Er zeigt, dass Sacher zwischen 1922 und 1940 Kontakte zu deutschen Nationalsozialisten und Schweizer Frontisten gepflegt hat.
Sacher war etwa mit dem deutschen Komponisten Wolfgang Fortner befreundet, der das Bannorchester der Hitlerjugend leitete. In den 1930er-Jahren traten beide bei einem Musikfest in Donaueschingen auf – mutmasslich im Beisein prominenter Nationalsozialisten. Ein Jahr später wollte Sacher wieder auftreten und schrieb laut «Zeit»-Bericht: «Sie kennen meine Einstellung.»
Im Interview spricht Corinne Holtz über ihre Recherche.
SRF: Paul Sachers Sympathien für Nazi-Deutschland sind bekannt – etwa durch seine Auftritte bei Veranstaltungen mit NS-Prominenz. Was hat Sie dazu bewogen, diesem Thema weiter nachzugehen?
Corinne Holtz: Das hat mit meinen Recherchen zur ersten Biografie des Schweizer Komponisten Klaus Huber zu tun. Damals war ich im Sacher-Archiv und habe ihre Korrespondenz studiert. Ich wollte einfach mehr über Sacher wissen. Worin gründet seine Autorität? Wie schaffte er den Aufstieg aus kleinbürgerlichen Verhältnissen? Ich halte die heutige Darstellung seines Wirkens und seiner Person, von wenigen Ausnahmen abgesehen, für verklärend. Bis heute fehlt erstaunlicherweise eine kritische Biografie, obwohl es Spuren gibt. Ich wollte mehr über Sachers Verbindungen mit Nazi-Deutschland wissen.
Sie schreiben in Ihrem Artikel von Dokumenten, die das erste Mal ausgewertet wurden. Welche Art Dokumente sind das?
Ich habe meine Recherche im Bundesarchiv Bern angefangen, bei der Aktenüberlieferung des Schweizer Nachrichtendienstes. Paul Sacher hat dort eine Fiche. Im ersten Eintrag 1938 steht etwa «verkehrt mit Otto Rahn», welcher zum persönlichen Stab des Reichsführers der SS gehörte, also Heinrich Himmler, und Untersturmführer ist. Die Verbindung zu Rahn war das erste von vielen aufzuspürenden Puzzleteilen. Sacher hat sich nicht nur mit Rahn getroffen, sondern auch mit dem Frontisten Franz Riedweg, der später zum ranghöchsten Schweizer in der Waffen-SS aufstieg. Schon früh lernte Sacher in Alfred Schmid einen überzeugten Nationalsozialisten kennen. Schmid war der Gründer des Jungmännerbundes «Basler Ring», dem Sacher dann auch mit 16 Jahren beitrat. Diese Geschichte habe ich auf Basis der Akten im Basler Staatsarchiv recherchiert.
Welche Recherche-Erkenntnisse haben Sie besonders überrascht?
Wie beeindruckbar Paul Sacher war – und wie er es schaffte, aus dieser «Schwäche», eine Stärke zu machen. Ich wage eine These dazu: Aus seiner «Verlorenheit als Kind» – so hat er das selbst einmal gesagt – rettete er sich in die Überlegenheit; aus seiner Ohnmacht, in die Macht. Ich glaube, dass die Kränkungen, die Sacher als Aufsteiger erfuhr, ein wichtiger Treiber waren. Insbesondere die Kränkung, als Dirigent nicht wirklich anerkannt worden zu sein. Weltklasse-Orchester blieben ihm schliesslich verschlossen.
Welches neue Licht werfen Ihre Archivfunde nun auf die Figur Paul Sacher?
Charismatische Männer zogen ihn an. Er war beeindruckt von Schneid. Alfred Schmid, den Gründer des Jungmännerbundes Basler Ring, bewunderte Sacher noch im Alter für seine «Gefolgschaft». Das Führerprinzip hat Schmid Sacher vorgelebt. Ich glaube, dass er prägend für Sacher war und ihn diese Figur ein Leben lang fasziniert hat.
Das Gespräch führte Bodo Frick.