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Neue Wege in der Psychiatrie Psychedelische Substanzen: Heilung statt Horrortrip

Psychedelische Substanzen wie LSD, Psilocybin oder Ayahuasca haben einen schlechten Ruf: Immer wieder liest man von Horrortrips und Psychosen.

Vielleicht zu Unrecht, meint Milan Scheidegger, Arzt und Neurowissenschaftler. Er erforscht das bisher wenig beleuchtete Potenzial dieser Substanzen für die Psychiatrie.

Milan Scheidegger

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Milan Scheidegger hat Medizin, Neurowissenschaften und Philosophie studiert. Er forscht zur Wirkung und dem therapeutischen Potenzial psychoaktiver Substanzen an der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik der Universität Zürich. Als Psychiater entwickelt er neue, innovative Behandlungskonzepte für den unterstützenden Einsatz psychoaktiver Substanzen in der Psychotherapie.

SRF: Wieso könnten psychedelische Substanzen neue Möglichkeiten für die Psychiatrie eröffnen?

Milan Scheidegger: Bisherige Medikamente lindern vor allem die Symptome psychischer Erkrankungen: Ein Antidepressivum hellt die Stimmung auf, ein Beruhigungsmittel dämpft Ängste. Diese Medikamente haben aber Nebenwirkungen und wirken manchmal nur eine Zeit lang.

Psychedelische Substanzen ermöglichen eine Art von Veränderungsprozess.

Psychedelische Substanzen können hier einen neuen Ansatzpunkt liefern: Statt Symptome zu dämpfen, ermöglichen sie eine Art von Veränderungsprozess. Wir gehen davon aus, dass so starre neuronale Regelkreise aufgebrochen werden.

Dadurch können sich Gehirn und Bewusstsein durch eine gleichzeitige, begleitende Psychotherapie auf einem neuen, besseren Level stabilisieren.

Studien werden zurzeit vor allem mit therapie-resistenten Patienten durchgeführt. Wäre die Idee grundsätzlich, solche Substanzen auch als Mittel der ersten Wahl zu etablieren?

Wenn wir basierend auf diesen Substanzen neue Medikamente entwickeln könnten, die vergleichsweise sicher, wirksam und kostengünstig sind, wäre es durchaus vorstellbar.

Psychedelische Substanzen können bei Suchterkrankungen, aber auch bei Traumafolgestörungen sowie Ängsten und Depressionen wirken.

Allerdings braucht es noch viel klinische Forschung, um die notwendige Evidenz zu erbringen. Und letztlich ist es auch ein gesundheitspolitischer Entscheid.

Wie sieht diese Evidenz aus?

Es zeigt sich, dass psychedelische Substanzen bei Suchterkrankungen, aber auch bei Traumafolgestörungen sowie Ängsten und Depressionen wirken können. Es sind aber sicherlich noch grössere Placebo-kontrollierte Studien notwendig.

Menschliche Köpfe im Profil, mit Blumenmuster verziehrt.
Legende: Mehr als reiner Rausch: Psychedelische Erfahrungen sollen ermöglichen, Probleme aus einer anderen Perspektive zu erleben, sagt Wissenschaftler Milan Scheidegger. Getty Images / Images Etc Ltd

Was sind mögliche Risiken?

Psychedelische Substanzen können äusserst positive, aber auch starke negative Gefühle auslösen. Daher sollten Patienten, die emotional instabil, psychoseanfällig oder suizidal sind, auf keinen Fall an einer solchen Therapie teilnehmen.

Wieso braucht es diese neue Therapieform überhaupt und wo greifen klassische Ansätze zu kurz?

Ich stelle keineswegs Therapieansätze wie die kognitive Verhaltenstherapie oder die medikamentöse Behandlung in Frage. Das Potenzial sehe ich aber bei Patienten, bei denen man mit klassischen Herangehensweisen nicht weiterkommt.

Die Therapieansätze sollten ausschliesslich in dafür spezialisierten Forschungszentren durchgeführt werden.

Wir gehen davon aus, dass psychedelische Erfahrungen es diesen ermöglichen, Probleme aus einer anderen Perspektive zu erleben.

Wie stehen Sie zu den Negativschlagzeilen im Zusammenhang mit Behandlungen mit psychedelischen Substanzen – man denke an den 2017 verstorbenen Vorsteher der Kirschblüten-Gemeinschaft Samuel Widmer oder einen seiner Schüler, unter dessen Anleitung 2009 zwei Personen verstarben?

Solche Vorfälle sind natürlich sehr bedauerlich. Ich denke aber nicht, dass das etwas mit den Substanzen an sich zu tun hat. Man muss sehen: Das, was Samuel Widmer gemacht hat, war keine Therapie, zumal es sich nicht sinnvoll durch Studien belegen lässt.

Die von uns untersuchten Therapieansätze sollten ausschliesslich in dafür spezialisierten Forschungszentren durchgeführt werden. Eine anerkannte Spezialausbildung von angehenden Therapeuten könnte in Zukunft zudem eine gewisse Qualität der Therapien und Therapeuten sicherstellen.

Das Gespräch führte Gina Messerli.

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