Ihr Antrieb ist die Neugier. «Ich wollte wissen, wie es wirklich ist», sagt Pia Zanetti. Zusammen mit ihrem Mann, dem Journalisten Gerardo Zanetti, machte sie viele Reisen und belieferte Publikationen wie «Schweizer Illustrierte», «Du», «Paris Match» und «Stern».
Das junge Paar war in den 1960er-Jahren ein eingespieltes Reporterteam, dessen Arbeiten in den goldenen Zeiten der Printmedien sehr gefragt waren.
Am nachhaltigsten beeindruckt hat sie eine frühe Reise nach Südafrika: «Ich wusste zwar, dass es Apartheid gibt. Doch was das im Alltag wirklich heisst, das hat mich erschüttert.» Damit war die Grundlage gelegt für ihr fotografisches Schaffen mit Fokus auf soziale und politische Themen.
Sie fotografierte, er schrieb
1943 in Basel geboren, wusste sie schon als Mädchen, dass sie Fotografin werden wollte. Kein Wunder, war doch ihr 15 Jahre älterer Bruder Fotograf und die Schwester Journalistin.
Doch als junge Frau bekam Pia Zanetti keine Lehrstelle, und so lernte sie bei ihrem Bruder das Handwerk von der Pike auf.
Danach folgten intensive Berufsjahre mit ihrem Mann. Sie fotografierte, er schrieb. «Wir waren beide unheimlich gierig darauf, die Welt zu sehen», sagt Pia Zanetti.
Die beiden lebten in London und Rom und später im Tessin, wo sie ihre drei Kinder aufzogen. Mit den Kindern war die Zeit der gemeinsamen Arbeit vorbei: Der eine war zu Hause, die andere auf Reportage und umgekehrt.
Mit Max Frisch in der Sauna
Dabei sein, das sei das Zauberwort der Fotografie, sagt Pia Zanetti. Als fremder Mensch dabei sein zu dürfen, das sei das Erfüllende an ihrem Beruf.
Die Grenze zum Voyeurismus zieht sie aber klar: «Ich war dabei, als im Südsudan eine Frau praktisch auf der Strasse ein Kind zur Welt brachte. Da legte ich die Kamera weg und eilte zu Hilfe.»
Oder Max Frisch: Sie hat ihn mehrfach porträtiert, auch im vertrauten Zwiegespräch mit Friedrich Dürrenmatt. Doch als dank Frischs Frau Marianne eine Freundschaft entstanden sei, habe sie ihn nicht mehr fotografiert.
«Ich war mit Max Frisch in der Sauna. Da konnte ich ihn nicht mehr fotografieren. In der Sauna sowieso nicht, aber auch sonst: Es war zu nahe.»
Menschen und ihre Lebensumstände: Das ist der Kern von Zanettis Arbeit. 1999 beispielsweise reiste sie nach Usbekistan und dokumentierte, wie die Regierung den Aralsee austrocknete und damit die Lebensgrundlage der Fischer zerstörte.
Zanettis Bilder klagen nicht an, und sie kommentieren auch nicht – sie zeigen eine Realität, die oft wenig im Zentrum des öffentlichen Interesses steht.
Unveröffentlichte Strassenszenen aus New York
Sechzig Jahre Fotoreportage: Entsprechend umfangreich ist Pia Zanettis Archiv. Sie machte sich an die Arbeit und bekam Unterstützung von ihrem Sohn, der ebenfalls Fotograf ist, und von der Fotostiftung Schweiz. Ein Best-of ist nun zu sehen in der Monografie und in der Ausstellung in Winterthur, die zurzeit geschlossen ist.
Das Resultat ist bestechend: Zu sehen sind ikonografische Bilder wie etwa das Porträt von Federico Fellini, historische Bilder wie diejenigen vom Aralsee und schliesslich Arbeiten, die bisher noch nie publiziert wurden wie die grossartigen Strassenszenen aus New York.
Pia Zanetti hielt als Zwanzigjährige fest, wie bunt und divers die US-amerikanische Bevölkerung schon damals war. «Ich war unglaublich fasziniert und konnte den Fotoapparat kaum mehr weglegen.» – Diese Neugier an der menschlichen Vielfalt hat sich Pia Zanetti ein Leben lang bewahrt.