Es knallt. Unser modernes Zeitalter befindet sich im Krisenmodus. Wohlstand, Frieden und gleiche Chancen für alle – das waren doch einst die goldenen Versprechen. Und nun? Kriege, extremistische Bewegungen und die Schere zwischen Arm und Reich spannt sich weiter auf. Wir erleben emotional aufgeladene Zeiten: Angst, Zorn und Hass breiten sich aus.
Diese konfliktträchtigen Emotionen prägen unsere Wahrnehmung, behauptet die französisch-israelische Soziologin Eva Illouz in ihrem neuen Buch «Explosive Moderne». Und sie geht noch einen Schritt weiter, indem sie aufzeigt, wie Populisten dies ausnutzen und befeuern.
Seit gut zwei Jahrzehnten beschäftigt sich die renommierte Wissenschaftlerin damit, wie gesellschaftliche Einflüsse unsere Gefühle prägen. Etwa Konsumkultur die Liebe. Diesmal analysiert sie, wie politische und wirtschaftliche Prozesse der vergangenen zwei Jahrhunderte einen emotionalen Zustand geschaffen haben, der uns unzufrieden macht und überfordert.
Ihr Buch setzt sie den emotionalen Ich-Botschaften aus psychologischer Ratgeberliteratur und einer florierenden Selbsthilfebranche entgegen. Da blühe das vermeintliche Glück jenen, die nur hart genug an sich arbeiten. Für die Soziologin ist jedoch klar: Gefühle sind keine Privatsache. Ihnen ist eine «soziale Grammatik» eingeschrieben und die gilt es aufzuschlüsseln, um öffentliche Konflikte besser zu begreifen.
Die Ambivalenz der Hoffnung
Eine kollektive Unzufriedenheit führt sie auf die durch den «amerikanischen Traum» geschürte Hoffnung zurück. Das Versprechen, vom Tellerwäscher zum Millionär aufzusteigen, löse sich nicht bei allen ein. Einerseits sei Hoffnung eine «ausgesprochen handlungsorientierte Emotion», die beispielsweise demokratisches Engagement befeuern kann. Wenn gesellschaftliche Strukturen wie Rassismus aber andererseits nicht hinterfragt werden, klammere man sich hoffnungsvoll an einen ungerechten Status quo. Zurück bleibe ein Gefühl der Enttäuschung.
Durch die grossen Versprechen des Kapitalismus – dass wir alle von Geburt an gleich sind und unser Schicksal selbst in die Hand nehmen können – entstehe ein ständiger Konkurrenzkampf. Das Gefühl dabei? Neid: Einkommen, Aussehen, Besitz – alles werde verglichen. Ein Nährboden für wachsende Minderwertigkeitsgefühle.
Die Frustration darüber, dass sich versprochene Erfolge nicht einstellen, spiele Populisten in die Hände. Populistische Kräfte greifen diese Zweifel auf. Sie schüren Angst vor Migration oder Hass gegen eine sogenannte gebildete Elite. Neid und Frustration wandeln sich so in menschenverachtende Vorurteile.
Proust, Kafka und Black Mirror
Illouz' Gefühlswanderung ist auch eine Reise durch die Literatur der Moderne. Romane, Gedichte, Netflix-Serien – die Soziologin analysiert akribisch die Emotionen von Figuren und Handlungen, um die moralischen Einstellungen einer Gesellschaft besser zu verstehen.
«Explosive Moderne» ist ein dichtes Geflecht aus zitierten Gesellschaftstheoretikern, fiktionalen Auszügen und umfassenden Analysen. Illouz greift auch auf Gedanken aus vorigen Büchern zurück. Auswege aus den gefühlsgeladenen Krisen bietet sie keine, erhellt aber mit interessanten Erklärungen die komplexe Gefühlswelt unserer Zeit.