Der Rücktritt von Tyna Fritschy kam für viele überraschend. Sie ist erst 24 Jahre alt, als sie aus dem Orientierungslauf-Spitzensport aussteigt. Für einen Ausdauersport ist das jung. Für eine Top-Athletin, die Erfolge feiert, ist das sehr jung.
«Mein Rücktritt stand auch im Zusammenhang mit meiner sexuellen Orientierung», sagt Fritschy. «Ich hatte das Gefühl, dass es in meiner Sportart keine Option war, so zu leben, wie ich es wollte. Ich behielt meine sexuelle Orientierung für mich.»
Kein Platz für queere Gefühle
Als OL-Spitzensportlerin ist man viel unterwegs, reist zu Turnieren, sucht Sponsoren. Bei keiner Sportlerin gibt es viel Platz für ein Privatleben.
Es gebe aber erst recht keinen Platz für ein Privatleben, wenn die eigene Sexualität von der Norm abweiche, sagt Tyna Fritschy. «Ich habe die Schweizer OL-Welt als konservativ und verklemmt erlebt.»
Zu ihrer Aktiv-Zeit gibt es keine öffentlich geoutete Spitzensportlerin oder Funktionärin – obwohl es lesbische Sportlerinnen und queere Funktionärinnen durchaus gab.
Schweigen ist Gold
Aber man schwieg lieber. Dieses Schweigen wurde zu einem impliziten Signal: Darüber redet man nicht. Tyna Fritschy übernahm das Schweigen. Ihr Geheimnis wurde zur Belastung.
«Ich erlebte Schlaflosigkeit, Leistungseinbrüche. Das war Teil meiner Realität als queere, ungeoutete Spitzensportlerin.»
Vorbilder statt Vorurteile
Als die Anfrage kam, bei einem Buchprojekt über lesbische Spitzensportlerinnen mitzumachen, hat Tyna Fritschy keinen Moment gezögert. «Ich hätte mir damals so ein Buch gewünscht.» Ein Buch mit sichtbaren Vorbildern.
Denn wo es keine Vorbilder gibt, wo geschwiegen oder getuschelt wird, da entstehen Vorurteile. Meist wenig schmeichelhafte.
Hier setzt das Buch «Vorbild und Vorurteil. Lesbische Spitzensporterinnen erzählen» (Hier und Jetzt Verlag) an. Es porträtiert Spitzensportlerinnen aus verschiedenen Sportarten: von Ballett bis Boxen. Es sind Porträts, die tiefe Einblicke in eine Welt aus Leistung und Leidenschaft gewähren.
Jenseits des «hetero-sexy Image»
Das Buch bietet eine Bandbreite an queeren Biografien: Mit den schmerzhaften Seiten, weil es zu Brüchen kommt wegen der sexuellen Orientierung.
Und den schönen Seiten, wenn zum Beispiel weder die katholische Mutter noch der muslimische Vater ein Problem damit haben, als sich die Tochter, die Profi-Unihockeyspielerin, outet.
«Wir wollen Vorbilder schaffen und Vorurteile abschaffen», sagt Monika Hofmann, Co-Autorin des Buches. «Im Spitzensport kennt man häufig nur die Sportlerinnen, die dem sogenannten hetero-sexy Image entsprechen. Also Hetero-Frauen, die sehr gut aussehen, sich gut vermarkten lassen. Mit unserem Buch schaffen wir Bilder, die bisher nicht existieren.»
Angst, Sponsoren zu verlieren
Dass es solche Bilder immer noch braucht, zeigt sich daran, dass einige Frauen Angst hatten mitzumachen. Junge, aktive Spitzensportlerinnen, die ihre sexuelle Orientierung verbergen. «Sie haben Angst, Sponsoren zu verlieren,», sagt Monika Hofmann. Homophobie im Spitzensport ist noch immer eine Tatsache.