Zum Inhalt springen

Neues Geschichtsbuch Die Schweiz und China: mehr als eine Zweckfreundschaft?

Das Buch «Die Schweiz und China. Von den Opiumkriegen bis zur neuen Seidenstrasse» rollt die Beziehungsgeschichte der beiden Länder auf. Eine Entdeckung: Die Schweiz war in den 50er-Jahren ein Tummelfeld chinesischer Spione.

Mit Musikdosen und Uhren aus dem Val de Travers im Gepäck sorgten die ersten Schweizer Missionare und Handelsherren in China für Furore. Sie erkannten, dass sich in dem Riesenreich ein Absatzgebiet auftut.

Ab dem 19. Jahrhundert produzierte die Westschweizer Uhrenindustrie für den chinesischen Markt. Damit war die Schweiz in China früh wirtschaftlich präsent.

Gruppe von Männern in formeller Kleidung bei einem Gartenfest.
Legende: Auch China war in der Schweiz präsent: Eine chinesische Delegation besuchte die Schweiz um 1900. Auf ihrer Weltreise verbrachte sie fünf Tage in der Schweiz, um sich für Reformen in China zu inspirieren. KEYSTONE / PHTOPRESS-ARCHIV

Koloniales Setting

Die Schweiz besass zwar keine Kolonien, aber Schweizer und Schweizerinnen bewegten sich dort in einem kolonialen Kontext. Sie lebten luxuriös und liessen sich bedienen, sagt die Historikerin und Sinologin Ariane Knüsel.

Ariane Knüsel

Historikerin

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Ariane Knüsel ist Privatdozentin für Zeitgeschichte an der Universität Freiburg und assoziierte Forscherin bei «Diplomatische Dokumente der Schweiz». Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den chinesischen Beziehungen zu westlichen Ländern (speziell zur Schweiz), chinesischen Geheimdienstnetzwerken in Europa, und in westlichen Mediendarstellungen.

«Sie haben als Teil der kolonialen Elite in chinesischen Stadtvierteln gelebt, die von Ausländern kontrolliert wurden. Es gab zum Beispiel eine ausländische Polizei. Sie haben von Privilegien profitiert, welche andere Länder im Krieg gegen China erzwungen hatten.» Beispielsweise vom Vorrecht, frei durchs Land zu reisen.

Zu diesem kolonialen Setting gehörte auch der Handel mit geraubten Kulturgütern durch Schweizer. So etwa nach dem Boxeraufstand um 1900, als sich im Nordosten Chinas eine Bewegung gegen christliche Missionare und Konvertiten auflehnte, aber von westlichen und japanischen Truppen niedergeschlagen wurde.

Buchhinweis

Box aufklappen Box zuklappen

Ariane Knüsel und Ralph Weber: «Die Schweiz und China. Von den Opiumkriegen bis zur neuen Seidenstrasse». Hier und Jetzt, 2024.

«Zum Beispiel hat ein Schweizer damit geprahlt, dass er eben da spottbillig geplündertes Gut erworben hatte», sagt Knüsel. Teppiche, Seidenroben und Vasen aus dem Kaiserpalast gelangten so in die Schweiz.

Die Schweiz als Tummelfeld für Spione

Auch danach war der Schweizer Blick auf China von kommerziellen Interessen geprägt. Die Industrie lieferte Farbstoffe und Medikamente, Maschinen, Aufzüge, Waffen und immer wieder: Uhren. Diplomatische Beziehungen stützten dieses Exportgeschäft.

Dass die Schweiz als neutrales Land die kommunistische Volksrepublik 1950 früh anerkannte, trug zum gegenseitigen Einvernehmen bei. So etablierte China mitten in Europa ein Tummelfeld für Spione: Die chinesischen Genossen logierten in den Grand Hotels in Bern oder Genf und blätterten für ihren monatlichen Schnapskonsum gerne mal 20’000 Franken hin.

Gruppe von Menschen geht unter Banner, das chinesische und schweizerische Freundschaft feiert.
Legende: Der Lausanner Stadtpräsident Jean-Pascal Delamuraz, Mitte, und sein Ehrengast, der chinesische Direktor für Handel und Industrie, Tscheng Tschi Tschian, an der 56. Herbstmesse Comptoir Suisse in Lausanne, am 13. September 1975. KEYSTONE / PHOTOPRESS-ARCHIV/ Alain Gassmann

Das Buch erzählt die Verbindungen der beiden Länder nicht nur in einer informativen Gesamtschau, sondern auch anschaulich mit eingestreuten Anekdoten. Zudem ist es reich illustriert. Eindrücklich sind da etwa pseudo-chinesische Einrichtungsgegenstände, die «Chinoiserien». Mit ihnen simulierte das hiesige Bürgertum Weltläufigkeit, wenn es ein «Chinazimmer» einrichtete und ein Teeservice aus Porzellan bestellte.

Wenig kultureller Austausch

Doch anders als die wirtschaftlichen Beziehungen blieb der kulturelle Austausch punktuell, besonders im Kalten Krieg. Beim Auftritt der «Peking-Oper» im Volkshaus Zürich kam es zu einer antikommunistischen Demonstration. Pflegten Schweizer Kulturschaffende Beziehungen in China, schadeten sie ihrer Karriere.

Dass nun über das Buch ein kultureller Austausch in China entsteht, damit rechnet Ariane Knüsel nicht. Zu viele Themen seien dort tabu. «Wir behandeln zum Beispiel die Hungersnot. Wir behandeln sehr detailliert das Tian’anmen-Massaker und auch die Uiguren und tibetischen Flüchtlinge.» Das sind grosse Themen, bei denen es um die Verletzung von Menschenrechten geht, die in China nicht öffentlich diskutiert werden dürfen.

Radio SRF 4, Nachrichten, 28.8.2024, 5:30 Uhr ; 

Meistgelesene Artikel