Über 60 Katakomben, also frühchristliche Grabanlagen, gibt es allein in Rom, mehr als man gemeinhin denkt. Viele von ihnen seien nicht zugänglich, erklärt der Archäologe Farbrizio Bisconti.
Der Professor leitet die Ausgrabungen in den Katakomben, tief im Untergrund. Er ist auch für die Ausstellung im kleinen, lichten Museum über der Erde zuständig.
Das Museum präsentiert vor allem Gegenstände aus Katakomben, die fürs Publikum geschlossen sind. «Uns interessieren der Alltag der frühen Christen, ihre Berufe und die Arbeiten, die sie verrichteten», erzählt Bisconti. So sieht man Grabplatten aus Marmor, die Szenen aus einer Bäckerei oder einem Rebberg zeigen.
Der Hirte als Synonym für Jesus
Die Katakomben waren den Christen vorbehalten. Trotzdem findet man im Untergrund auch andere Gräber. Denn die christlichen Römer beerdigten oft dort, wo früher schon die heidnischen Römer beerdigt hatten. Eine scharfe Trennlinie fehlt, auch in der Kunst. So tauchen auf heidnischen und christlichen Gräbern ähnliche oder gar gleiche Darstellungen auf.
«Der Hirte war schon in der antik-vorchristlichen Kunst ein verbreitetes und beliebtes Sujet», so Bisconti. «Das frühe Christentum übernimmt es und macht aus ihm den guten Hirten als Synonym für Jesus Christus.»
Von der Götterwelt zum Christentum
Der Synkretismus, das Ineinanderfliessen von religiösen Inhalten oder Symbolen, zeige sich hier in den Katakomben und im Museum an verschiedenen Beispielen.
Bisconti geht noch einen Schritt weiter: «Die frühen Christen erfinden nichts. Sie nehmen die vorhergehende, heidnische Kultur auf, geben ihr aber eine neue Bedeutung.»
Erst später entwickeln die Christen eine eigene Symbol- und Bildsprache. So fehlen in den Katakomben etwa die Symbole der vier Evangelisten, die man heute in vielen Kirchen findet.
Die Evangelisten-Symbole Mensch, Löwe, Stier und Adler kommen erst später in Gebrauch, nachdem die Katakomben als Grabstätten bereits ausgedient hatten. Das neue Museum zeigt die Zeit des 3. und 4. Jahrhunderts, den fliessenden Übergang von der Götterwelt der Römer zum Christentum.
Erforschung des unterirdischen Labyrinths
Gut möglich, dass davon in den Vitrinen bald neue Exponate erzählen. Denn wie überall in Rom ist auch in den Katakomben längst nicht alles ausgegraben. Die Arbeit geht weiter.
«Jetzt gerade graben wir in den Katakomben der Priscilla am anderen Ende der Ewigen Stadt», sagt Bisconti. Aber auch hier, in den Katakomben der Domitilla, geht die Arbeit der Archäologen weiter.
Über 12 Kilometer lang ist das unterirdische Labyrinth, für das Publikum wurden bisher aber nur knapp drei Kilometer zugänglich gemacht.
Mit Sorgfalt unter die Erde blicken
Im Mittelalter, als das antike Rom zerfiel und auf dem Forum Romanum die Schafe grasten, gerieten auch die Katakomben in Vergessenheit. Ein Glück wahrscheinlich, denn so blieben ihre Schätze von Plünderungen und Raubzügen verschont.
Erst in der Renaissance, als man die Antike neu entdeckte, begann man auch die Katakomben auszugraben. Im Zeichen der Gegenreformation wurde dann der Untergrund besonders sorgfältig untersucht.
Der Tod trifft auf Tradition
«Man suchte nach den Ursprüngen des Christentums und fand sie in den Katakomben», erklärt Professor Bisconti. «Der Besitz dieser heiligen Stätten und die Nähe zu den frühen Christen sollte die Position Roms, des Papstes und der katholischen Kirche stärken. Gefundene Skelette, sogenannte Katakomben-Heilige, wurden in Kirchen auch nördlich der Alpen gebracht und verehrt.
Heute weiss man, dass in den Katakomben längst nicht nur Christliches schlummert, sondern dass sich hier heidnische und christliche Tote und Traditionen treffen.
Sendung: SRF 2 Kultur, Blickpunkt Religion, 27.08.17, 08.08 Uhr