Über Jahrhunderte vollstreckten die Henker die Todesstrafe öffentlich. Das sollte potentielle Täter abschrecken und Verbrechen vergelten.
Beim Ersinnen von Hinrichtungsmethoden war der Mensch einfallsreich: kreuzigen, hängen, enthaupten, rädern, schleifen, ertränken, verbrennen, sieden, lebendig begraben, pfählen, einmauern, vierteilen, steinigen. Das waren Formen der Todesstrafe im Altertum und im Mittelalter.
Mit dem Zeitalter der Aufklärung sollten Hinrichtungen humaner und sauberer werden. Die Todesstrafe sollte, schreibt der deutsche Autor Helmut Ortner in seinem neuen Buch, «der Schlusspunkt eines zivilisierten juristischen Akts» sein.
Anonym, steril, lautlos
Die Französische Revolution dachte sich die Guillotine aus, die zuverlässig funktionierte, und setzte sie eifrig ein. «Es war die industrielle Revolution auf dem Gebiet der Todesstrafe», so Kriminologe Hans von Hentig.
Bis weit ins 20. Jahrhundert war die Guillotine in Gebrauch. Doch Innovationen wie der elektrische Stuhl, die Hinrichtung durch Gas oder Giftspritze veränderten das Gesicht der Todesstrafe.
Die Technologie des 21. Jahrhunderts hat das Töten effizienter und hygienischer gemacht. «Die Hände derjenigen, die den Schalter umlegen, damit das tödliche Gift in die Venen fliesst, bleiben sauber. Die biblische Lösung ‹Auge um Auge, Zahn um Zahn› wird in die Tat umgesetzt durch eine Distanz-Technologie: anonym, steril, lautlos», so Helmut Ortner.
Was ist der Nutzen?
Heute töten Staaten durch die Giftspritze oder durch den elektrischen Stuhl – und immer noch durch Erschiessen, Enthaupten, Erhängen und Steinigen.
Der Abschreckungsgedanke geht nicht auf: Befürworter wie Gegner der Todesstrafe müssen sich eingestehen, dass der Beleg, ob die Abschaffung zu einer Zunahme und die Wiedereinführung zu einer Abnahme von Mordtaten geführt haben, aussteht.
Wieviel ist zu viel?
Laut einem Bericht von «Amnesty International» wurden 2016 in 23 Staaten zum Tod Verurteilte hingerichtet.
China, Iran, Saudi-Arabien, Irak und Pakistan führen die Rangliste an. In China dürften es jedes Jahr Tausende sein.
Mit solchen Staaten ist der Westen wirtschaftlich verflochten. Man exportiert und importiert.
Helmut Ortner fragt deshalb: «Wie viele Verstösse gegen eigene Werte kann man dulden, um einen solchen Partner nicht zu verlieren?»
Starker Stoff
Das Sachbuch «Wenn der Staat tötet» widmet der Gegenwart viel Raum. Helmut Ortner bringt Fakten, zitiert Dokumente aus US-amerikanischen Todestrakten, Berichte von Henkern und erklärt Tötungsmethoden.
Ein wichtiger Beitrag zum Nachdenken über eine archaische Strafe, die auch – die meisten – westeuropäischen Staaten erst vor 50 Jahren abgeschafft haben.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 09.10.2017, 06.50 Uhr.