Zum Inhalt springen

Neurologin über Dummheit «Dummheit ist nicht gleichzusetzen mit einem tiefen IQ»

Dumme Entscheide fällen wir alle. Doch wann wird Dummheit gefährlich? Und was können wir dagegen tun? Die Österreicherin Heidi Kastner gibt Antworten.

Dumm sind immer die anderen: Dieser Falle ist sich Heidi Kastner bei diesem heiklen Thema vollauf bewusst: «Es wäre elitär und arrogant zu sagen, die anderen seien immer dumm und ich bin das nie.» Ein gewisses Mass an Selbstreflexion müsse man sich also eingestehen, sagt die Wiener Psychiaterin und Neurologin. «Man trifft immer wieder mal nicht grad die intelligentesten Entscheidungen.»

Der Titel ihres Buches ist nur grad ein Wort kurz: «Dummheit». Und nur knapp hundert Seiten umfasst ihr Essay – und doch regt dieser stark zum Nachdenken an: Was ist Dummheit? Wie wirkt sie sich aus? Und wem nützt Dummheit?

Dummheit ist lebensgefährlich

Es gibt objektiv widerlegbare Dummheit. Etwa, wenn diese tödliche Folgen hat. Als Beispiel nennt Heidi Kastner die Lüge, dass die Juden 1346 für die Pestepidemie verantwortlich gewesen seien. Sie wirkte bis ins 20. Jahrhundert nach.

Ich meine mit Dummheit ein zumeist selbstgewähltes Verhalten.
Autor: Heidi Kastner Psychiaterin

Die Lüge entstand aus der Dummheit, eine Epidemie zu erklären, die noch nicht zu erklären war. Und aus dem Bedürfnis heraus, Sündenböcke zu finden. «Dummheit ist immer wieder lebensgefährlich für die Menschen, die dumme Handlungen begehen.

Aber wenn diese Menschen in Positionen sind, wo sie auch eine Entscheidungsgewalt über andere haben, dann kann sie natürlich auch für andere lebensgefährlich sein.»

Gefühle statt Fakten

Dummheit sei aber nicht gleichzusetzen mit einem tiefen Intelligenzquotienten, sagt die Psychiaterin. «Ich meine mit Dummheit ein zumeist selbstgewähltes Verhalten, das aus Entscheidungen resultiert, die nicht auf der Wahrnehmung der Realität beruhen, sondern auf gefühlten Wahrheiten.»

Wenn man sich also nicht die Mühe machen wolle, sich zu informieren, sondern aus dem Gefühl heraus entscheide und sich verweigere, seine eigenen Positionen zu reflektieren. «Im Ergebnis ist Dummheit ein Verhalten, das den Betroffenen nichts nützt, sondern den Dummen oft genug schädigt, aber auch grosses Schädigungspotenzial für andere in sich birgt.»

Dumme würden sich also den Fakten verweigern, so Kastner. Sie dächten nicht über sich und ihre Haltung nach und sie seien egozentrisch. Sie würden den Fakt nicht anerkennen, dass alle Lebewesen in irgendeiner Form verbunden seien und dass der Schaden für einen immer auch einen Schaden für andere bedinge.

Man kann nicht alles wissen

Ursachen für Dummheit sieht Heidi Kastner viele, zuvorderst die Komplexität der Welt. Es sei schlicht nicht möglich, alles zu wissen und zu verstehen. Diesem Unwissen könne man mit Demut begegnen. Aber viele helfen sich mit einfachen Erklärungen, die sie selbst erhöhen, weil sie schliesslich Bescheid wissen, sich im Internet etwas angelesen und dort Gleichgesinnte gefunden haben.

Dummes Verhalten macht die Neurologin auch bei Entscheidungsträgern aus: «Diese Usancen, die sich eingebürgert haben, dass eben dummes Verhalten zum Teil auch salonfähig geworden ist und politische Entscheidungen bestimmt.» Dann werde es besonders gefährlich. «Entscheidungsträger, die dumm sind oder die Dummheit vieler ausnützen, um ihre Macht und ihren Reichtum zu vergrössern, sind die einzigen, denen Dummheit nützt.»

Muss man ohnmächtig vor der Dummheit kapitulieren? Nein, sagt Heidi Kastner. Doch man dürfe die Zahl der Menschen, die Dummes tun, nicht unterschätzen. Und mit dem Wahlzettel könne man versuchen zu verhindern, dass Dumme in Entscheidungspositionen kämen. «Wir können dafür sorgen, dass diejenigen, die entscheiden, diese Entscheidungen zum besten Wohle möglichst vieler treffen und nicht selbst ihre eigenen Interessen im Fokus haben.»

Buchhinweis

Box aufklappen Box zuklappen

Heidi Kastner: «Dummheit», Verlag Kremayr & Scheriau, Wien 2021.

SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 26.11.2021, 08:15 Uhr. ; 

Meistgelesene Artikel