Zum Inhalt springen

Nobelpreisträger Desmond Tutu Der unermüdliche Kämpfer für Gerechtigkeit wird 90

Der Friedensnobelpreisträger und Bischof Desmond Tutu engagiert sich auch mit 90 für Gerechtigkeit. Er will lieber in die Hölle als in einen homophoben Himmel.

«Was war das Schlimmste an der Apartheid?», wurde Desmond Tutu vor vielen Jahren in einem Interview des US-Senders PBS gefragt. «Dass du anfängst zu zweifeln, ob du ein Kind Gottes bist», antwortete der Bischof nachdenklich. «Wenn du so behandelt wirst, dass es hier oben», er tippte auf seinen Kopf, «etwas verändert».

Als dunkelhäutiger Südafrikaner war er selbst von der Diskriminierung des rassistischen Apartheid-Systems betroffen. Es teilte die Bevölkerung in zwei Gruppierungen, die völlig unterschiedlich behandelt wurden.

Das Apartheid-Regime und der Widerstand

Box aufklappen Box zuklappen
Schild an einem Strand mit der Aufschrift «White Area»
Legende: Keystone

Das Apartheids-Regime ging zurück auf Hendrik Frensch Verwoerd (1901-1966), Premierminister Südafrikas, der Nazi-Gedankengut einführte. 1950 wurde die räumliche Trennung weisser und schwarzer Südafrikanerinnen und Südafrikaner gesetzlich festgeschrieben.

Die Regierung trennte die weisse Minderheit – die Elite – und die schwarze Mehrheit voneinander. Politisch mitbestimmen durften nur die Weissen. Sie bekamen bessere Bildung, lebten in den schöneren und sichereren Quartieren, bekamen die guten Jobs. Weisse und schwarze Menschen sollten sich nicht mischen, keine Beziehungen eingehen.

Dagegen formierte sich politischer Widerstand, auch in Form des African National Congress (ANC), dem Nelson Mandela angehörte. Mandela und die Führung der ANC wurden 1964 verhaftet. Er kam 1990 auf internationalen Druck hin frei und wurde 1994 der erste schwarze Präsident Südafrikas.

1996 ernannte er den anglikanischen Erzbischof Desmond Tutu zum Leiter der Wahrheits- und Versöhnungskommission, die die Verbrechen der Apartheid aufarbeiten sollte. Desmond Tutu setzte sich für Vergebung ein und schrieb ein Buch darüber: «No Future without Forgiveness».

Gewaltfrei gegen das System

Desmond Tutu rief zum friedlichen Widerstand auf. Er organisierte Demonstrationen, bei denen sich Weisse und Schwarze miteinander gegen das System auflehnten.

Als Generalsekretär des südafrikanischen Kirchenrates bat er die internationale Gemeinschaft, ihnen zu helfen. Auch durch Boykotte wollte er die südafrikanische Regierung zum Umdenken bewegen.

Eine Stimme für Unterdrückte

1984 erhielt er für seinen Einsatz den Friedensnobelpreis. In seiner Rede würdigte er den Preis als Zeichen der Hoffnung für alle Menschen weltweit, die unterdrückt wurden.

Älteres Farbfoto. Links rot gekleideter, älterer, dunkelhäutiger Herr, hält kleine Box. Rechts älterer Mann mit Urkunde.
Legende: Desmond Tutu erhält den Friedensnobelpreis vom Vorsitzenden des Nobelkomitees Egil Aarvik. Keystone / AP Photo / Helmuth Lohmann

«Der Nobelpreis machte ihn zur moralischen Stimme der Welt», sagt Wilma Jacobsen, eine Freundin der Familie Tutu im Gespräch mit SRF. Sie war die erste anglikanische Priesterin, die Desmond Tutu ordinierte und arbeitete während anderthalb Jahren als seine Assistentin.

Die Opfer im Fokus

Ab 1995 übertrug der südafrikanische Präsident, der ehemalige Widerstandskämpfer Nelson Mandela, ihm die Leitung der Wahrheits- und Versöhnungskommission. Diese sollte die Verbrechen der Apartheid aufarbeiten.

Bei der Anhörung der Opfer brach Tutu in Tränen aus. Hinterher reflektierte er in einem TV-Interview: «Ich weine leicht. Aber danach sagte ich: ‹Gott, warum?› Ich hätte es zu Hause oder in der Kirche tun sollen. Denn jetzt lag die Aufmerksamkeit auf mir statt auf den Opfern – das wollte ich nicht.»

Links älterer Herr, nimmt Stapel Bücher von kleinerem Mann entgegen.
Legende: Tutu übergibt Nelson Mandela 1998 den Bericht der Wahrheits- und Versöhnungskommission, in dem er den ANC scharf kritisiert. Reuters

Versöhnung statt Rache

Sein Credo war stets: ohne Vergebung keine Zukunft. Er warb dafür, dass auch schlimmste Verbrechen vergeben werden könnten. Vergebung befreie.

Wie das gehe? «Lassen Sie Ihren Anspruch auf Rache fallen», sagte er. Die Täter hatten die Möglichkeit, ein umfassendes Geständnis abzulegen. Dann drohte ihnen keine Strafe mehr.

Sein Konzept fand nicht nur Befürworter. Manche waren der Meinung, dass Südafrika zu schnell versucht habe, zu Vergebung überzugehen.

Lieber in die Hölle als einen homophoben Himmel

Tutu steht für Gerechtigkeit, für die er sich seit den 1970er-Jahren lautstark einsetzte. «Sein Einsatz begann mit dem Thema der Apartheid, ging aber immer weiter», erzählt die 61-jährige Priesterin Jacobsen.

«Er setzt sich für die Gleichberechtigung der Frauen ein, für das Thema Gender, für die LGBTQI+-Community – wurde dabei immer freimütiger».

Seine Angriffe sind nicht scharf, sondern humorvoll und herzlich. 2013 sagte er bei einer UN-Veranstaltung in Kapstadt, er wolle lieber in die Hölle fahren, als in einen homophoben Himmel. Seine Tochter Mpoh segnete er, als diese 2016 eine Frau heiratete.

Links steinerne Figur eines Mannes, rechts dunkelhäutiger Bischof in pinkem Gewand, lacht.
Legende: Erzbischof Desmond Tutu scherzt neben seiner eigenen Statue bei der Enthüllungszeremonie zum Versöhnungstag in Kapstadt (2005). Reuters / Mike Hutchings

Ein Bischof auf Augenhöhe

Der 1,65 Meter grosse, freundliche Bischof sehe jeden Menschen, egal ob Promi oder Blumenverkäuferin, erzählt Wilma Jacobsen. Wenn jemand ihn angesprochen habe, sei er stehen geblieben, um mit der Person zu reden.

Die Kraft für sein Engagement sei aus seinem Glauben gekommen. Mehrmals am Tag betete er, täglich feierte er das Abendmahl. «Er sieht den göttlichen Funken in jedem Menschen», sagt Jacobsen.

«Jetzt brauchen wir neue Tutus, die den Stab übernehmen und sein Anliegen weitertragen!»

Virtueller Anlass zu Ehren von Tutu

Box aufklappen Box zuklappen

Am 7. Oktober gibt es einen Online-Event anlässlich Desmond Tutus 90. Geburtstag. Es spricht unter anderem sein Freund, der Dalai Lama. Wer zuschauen möchte, muss sich zuvor kostenlos registrieren.

Radio SRF 2 Kultur, Perspektiven, 3.10.2021, 08:30 Uhr.

Meistgelesene Artikel