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Paulette Brupbacher Die Zürcher Arbeiterärztin, die gegen das Verhütungs-Tabu kämpfte

Paulette Brupbacher kämpfte Anfang des 20. Jahrhunderts für Verhütungsmittel und Aufklärung – und gegen Redeverbote.

Schwangerschaften lösten bei den Patientinnen von Paulette Brupbacher eher Verzweiflung statt Freude aus. «Wir sind Fabrikarbeiter, ich und mein Mann, und jedes wieder erwartete Kind bringt uns in Angst und Schrecken, da jedes dem anderen seine ohnehin schmale Portion noch schmäler macht», zitiert die Ärztin in einem ihrer Bücher eine Patientin.

Brupbacher thematisierte die ungewollte Schwangerschaft zu einer Zeit, als diese noch ein Tabuthema war: «Dieses Problem ist wohl unter allen Problemen des Frauenlebens das tragischste. In seiner zermürbenden und zerstörenden Wirkung überschattet es alle anderen Lebensinhalte der Frau.» Kinder würden im besten Fall «mit stumpfer Resignation» ertragen.

Fürs Studium in die Schweiz

1880 als Paulette Rajgrodski in einer jüdischen Familie im heutigen Belarus geboren, kam sie mit ihrem ersten Ehemann zum Studium in die Schweiz. Nach zwei Doktortiteln arbeitete sie als Ärztin in Genf. 1923 liess sie sich scheiden, zog mit ihren zwei Kindern nach Aussersihl und heiratete den Zürcher Arzt und Anarchisten Fritz Brupbacher.

Das Ehepaar Burpbacher führte daraufhin gemeinsam eine Arztpraxis. Dabei sei sie keineswegs nur ein Anhängsel gewesen: «Sie galten für die Zeit als unglaublich gleichgestelltes, avantgardistisches Paar», stellt Lina Gafner klar. Die Historikerin ist Co-Direktorin der Gosteli-Stiftung, die Quellen zur Geschichte der Frauen in der Schweiz sammelt.

Auftritte als Tabubrecherin

Neben ihrer Arbeit als Ärztin engagierte sich Paulette Brupbacher in der Bewegung der Sexualreformerinnen und -reformer. Sie verbreitete ihr Wissen in Büchern, Broschüren und vor allem Vorträgen. Gerade letzteres sei wichtig gewesen, weil im Arbeitermilieu viele nicht lesen konnten, sagt Karin Huser, Historikerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin im Staatsarchiv Zürich.

Sexualreform

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Die Sexualreform war eine Bewegung, die sich seit der europäischen Aufklärung gegen die geltende, als repressiv empfundene Sexualmoral einsetzte. Im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts begannen Sexualreformerinnen und -reformer, Sexualität als wissenschaftliches Thema zu erforschen.

Sie vertraten die Ansicht, dass Sexualität ein natürlicher Trieb sei, dass ein einzelner Mensch nicht ohne Sexualität leben konnte, und dass es in der Natur vielfältige Formen von Sexualität gebe.

Mit ihren Vorträgen brach Paulette Brupbacher zahlreiche Tabus und wandte sich gegen den geltenden Konsens: Verhütung habe in konservativen Kreisen als Vergnügungssucht gegolten, sagt die Historikerin Lina Gafner. Sexualität und Fortpflanzung gehörten damals zwingend zusammen – wer keine Kinder wollte, sollte enthaltsam leben.

«Angeeckt, wo sie konnte»

Nach einem Vortrag im solothurnischen Derendingen erhielt Brupbacher ein kantonales Redeverbot, das später sogar das Bundesgericht beschäftigte.

Wie es zum Redeverbot kam

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Am 5. Februar 1936 war Paulette Brupbacher eingeladen, im Solothurner Industriedorf Derendingen einen Vortrag zum Thema Geburtenregelung zu halten. Der Vortrag habe «Empörung hervorgerufen», hiess es später in einem Schreiben des Solothurner Regierungsrats.

Brupbacher habe «ein äusserst heikles Thema in ziemlich schamloser Weise berührt». Aus diesem Grund werde ein Redeverbot verhängt, «im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sittlichkeit».

Brupbacher versuchte sich mit Beschwerden an den Regierungsrat und ans Bundesgericht zu wehren – allerdings vergeblich. Später wurde ihr im Kanton Glarus ein weiteres Redeverbot auferlegt.

Die Zürcher Ärztin und Sozialreformerin Brupbacher habe auch als Person polarisiert, sagt Historikerin Karin Huser. «Sie war aufmüpfig, hat angeeckt und aufgemuckst, wo sie konnte. Sie war eine sehr mutige Frau.»

Hoffnungsvoll bis zuletzt

Nach dem Tod ihres Ehemanns 1945 führte Paulette Brupbacher die Arztpraxis in Aussersihl weiter. Mit 72 Jahren wanderte sie nach Israel aus, wo sie als Ärztin arbeitete, an ihren Büchern schrieb und sich in Psychiatrie weiterbildete.

Wann sie in die Schweiz zurückkehrte, ist nicht bekannt. Sie starb kurz vor ihrem 88. Geburtstag im jüdischen Altersheim im aargauischen Lengnau. Die Nachwelt habe Paulette Brupbacher und ihre Ideen vergessen, wie so Vieles der Zwischenkriegszeit, so Lina Gafner.

Brupbacher selbst blieb immer hoffnungsvoll: «Der Tag wird kommen – und daran glaube ich fest und unerschütterlich –, wo die berechtigten Forderungen der Frau und ihre beharrliche Ablehnung einer aufgezwungenen Mutterschaft die volle Zustimmung und Anerkennung seitens der Gesellschaft finden werden.»

Radio SRF 4 News, Zeitblende, 7.10.2.2023, 10:03 Uhr

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