SRF: Sie sehen Gott ganz anders als in der Institution Kirche vorgesehen. Wie denn?
Ella de Groot: Über Gott können wir nichts wissen. Jede Diskussion, über die Existenz Gottes führt nur zu der unheilsamen ja-nein-Debatte. Gott können wir nicht denken, nur erfahren. Ich bin der Überzeugung, dass es nicht zwei Wirklichkeiten gibt, keine Welt ausserhalb unserer Welt.
Doch wir kennen alle das Gefühl, dass etwas grösser ist als wir, dass wir berührt werden von etwas. Das ist ein Appell des Lebens, der mich in Bewegung bringt, der mich ruft. Dem kann ich Gott sagen. Für mich ist Gott eine Metapher dieser Erfahrung.
Sie sprechen in Ihren Predigten davon, dass Gott kein Trostpflaster für menschliche Wunden sei.
Wo erfahren wir Trost? Ich finde keinen Trost in Worten, die ich nicht verstehe, in Dingen, die ich nicht erfahre. Für Trost brauche ich ein menschliches Gegenüber. Ich glaube nicht ans Jenseits, weil es ablenkt vom Leben hier.
Mein Glaube ist auf ein besseres Leben hier und jetzt ausgerichtet. Das Leben ist unbeschreiblich schön und unbegreiflich grausam zugleich. Mit beidem müssen wir leben. Aber die Verantwortung einem Gott zuzuschieben, das kann ich nicht als Trost zu verkünden.
Lernen, auf ihre innere Stimme zu hören. Das ist für mich Gebet.
Welchen Trost vermitteln Sie Kindern, die Angst haben, oder denen es schlecht geht?
Der Gottglaube ist keine Kindersache, die auswächst beim Älterwerden, so wie der Glaube an den Samichlaus.
Ich finde es wichtiger, am Bettrand zu sitzen und die Kinder nach ihren Sorgen und Ängsten zu fragen: Was war schön heute? Wovor hast Du Angst gehabt? So lernen die Kinder, auf ihre innere Stimme zu hören. Das ist für mich Gebet: das Zwiegespräch mit mir und mit anderen Menschen.
Zuerst mussten sich Christen vom strafenden Gott verabschieden, nun gerät auch der liebende Gott ins Zwielicht.
Es gibt ja auch Theologen und Philosophinnen, die den strafenden Gott rehabilitieren wollen. Ich für meinen Teil kann weder mit einem liebenden noch mit einem strafenden Gott etwas anfangen, es gibt für mich keine Trennung zwischen Gott und der Welt. Es geht um die Beziehung zu anderen Menschen, zu Tieren, zur Natur.
Sie beten auch kein «Vaterunser» im Gottesdienst?
Das Gebet brauche ich manchmal. Auch taufe ich Kinder auf den Namen Gottes. Aber es muss klar sein, dass Gott eine Metapher ist. Als liturgische Stücke kann ich diese Elemente einsetzen, sonst könnten wir ja auch keine Lieder mehr singen und keine Bibel lesen.
Wie reagiert Ihre Gemeinde auf Predigten ohne Gott?
Meine Theologie hat sich entwickelt im Dialog mit Gemeindemitgliedern. Ohne Gespräch mit ihnen wäre ich nicht dort, wo ich jetzt bin. Wer weiss schon, was Gott ist? Wir können nur versuchen, darüber zu diskutieren.
Was sagen Sie zum Vorwurf, dass ein so offenes Gottesbild den Glauben verwässere und so erst recht verzichtbar mache? Zum Vorwurf der Anbiederung an die säkulare Gesellschaft?
Wer bestimmt, was geglaubt werden darf? Sind wir nicht alle selber in der Lage zu formulieren, was wir glauben? Ist es nicht der Gewinn der Reformation, dass jeder Mensch das kann?
Diese Art von Glaube ist schwieriger, weniger fassbar, herausfordernd, aber nicht verwässert. Ich stelle ein Bedürfnis nach Spiritualität fest, die zeitgemässe Worte und Weltbilder braucht. Wenn das Anbiederung sein soll, stört es mich nicht.
Stehen Sie in einem Gewissenskonflikt mit der Kirche?
Nein. Es entspricht der Struktur der reformierten Kirche, dass ich die Freiheit habe, ein anderes Gottesbild zu vertreten. Dafür steht die Reformation: Der Glaube darf und kann von keiner äusseren Instanz aufgezwungen werden.
Manchmal fühle ich mich einsam in meiner Kirche, aber solange mir die Kirchenleitung nicht vorschreibt, wie ich zu predigen habe, sehe ich keinen Gewissenskonflikt.
Diskutieren Sie mit Ihren PfarrkollegInnen über Ihr Gottesbild?
Die Reaktionen auf meine Äusserungen waren sehr zurückhaltend. Ich diskutiere deshalb mit nur wenigen guten Kollegen. Ich vertrete ja keine neuen Gottesbilder. Durch das Schweigen verliert die Kirche aber die Chance, mit kritisch Denkenden ins Gespräch zu kommen.
Warum schweigen sie?
Beiträge zum Thema
Viele meiner Kolleginnen und Kollegen denken ähnlich wie ich, glauben auch nicht an einen personalen Gott, aber ihnen fehlt vermutlich der Mut und vor allem die Energie, die es braucht, um eine neue, eigene Sprache zu entwickeln, sich zu positionieren.
Auf den Mitgliederschwund kann die Kirche reagieren, indem sie vorwärts geht und sich öffnet für neue Ideen. Oder man klammert sich an die alten Zeiten, an Traditionen, in der Hoffnung, das sinkende Schiff so retten zu können. Man meint, mit einem klaren traditionellen Profil die Leute wieder holen zu können.
Ich bin da komplett anderer Meinung: tradieren heisst weiterentwickeln, nicht einfrieren!
Wenn ich aus der Kirche austrete, verlasse ich eine Kirche, die ich verwandeln möchte.
Haben Sie sich nie überlegt, den Dienst in der Kirche aufzugeben? Und zum Beispiel freie Rituale anzubieten?
Nein, das kommt für mich nicht in Frage. Mir liegt die Kirche am Herzen. Wenn ich aus der Kirche austrete, verlasse ich eine Kirche, die ich verwandeln möchte.
Ich weiss, dass das nicht möglich ist, aber ich gebe nicht so schnell auf. Ich möchte mit meiner Gemeinde unterwegs bleiben.
Das Gespräch führte Christa Miranda.