Was tun bei Liebeskummer? Wie treffe ich die richtigen Entscheidungen? Was macht mich glücklich? In der «Lebensoptimierungs»-Branche finden sich etliche Antworten auf solche Fragen.
Auch der Philosoph Alain de Botton nähert sich ihnen. In seinem Youtube-Kanal «School of life» behandelt er in kurzen Clips grosse Fragen. Das Ziel? Die Welt und den Menschen etwas verständlicher machen.
SRF: Welche drei Lektionen hat Sie das Leben gelehrt?
Alain de Botton: Ich bin in der Schweiz aufgewachsen. Dort habe ich etwas Wichtiges gelernt: Grosser Wohlstand ist kein Schlüssel zum Glück. Selten habe ich so viele bedrückte, ernste Leute erlebt wie in der Schweiz. Das war für mich eine zentrale Grundlektion, die der Politik widerspricht, die uns immer wieder eintrichtert: mit Geld lässt sich alles lösen.
Die Schweiz ist vielen Ländern um 200 Jahre voraus; vielleicht wird Nigeria in 200 Jahren wie die Schweiz sein. Landläufig wäre wohl die Meinung: Wenn Nigeria sich zu einer Schweiz entwickeln würde, wären dort alle glücklich. Doch sie wären es eben nicht.
Was war die zweite Lektion?
Als ich die Schule und später die Uni besuchte, hatte ich grossen Respekt vor den Lehrern und Professoren. Sie schienen den Schlüssel zu den Geheimnissen des Lebens zu besitzen. Denn sie kannten sich aus in den grossen Themen: Philosophie, Geschichte, Soziologie.
Ich war ein neugieriger und sehr guter Student. Aber allmählich wurde mir klar: Wenn Du ein zu guter Student bist, könnte das gefährlich werden.
Wie meinen Sie das?
Wenn ich blind den Vorgaben folgte, würde ich unkreativ werden und nur noch Dinge wiederholen, die bereits existieren. Ich spürte den Drang zur Rebellion. Und ich hoffe, es war eine gute Rebellion. Denn oft beginnt sie zu früh und man will alles über den Haufen werfen.
Mir ging es aber darum, die Qualitäten im gängigen, akademischen Schulsystem zu erkennen, aber auch kritisch zu hinterfragen. Das war die zweite wichtige Lektion: Man kann auch ein allzu fleissiger, williger Student sein – und das birgt Gefahren.
Was war die dritte Lektion?
Die entstand im Liebes- und Beziehungsleben. Früher war ich davon überzeugt, dass Probleme nur dann entstehen, wenn ich nicht mit der richtigen Partnerin zusammen bin. Ich dachte, sobald mir meine Traumfrau über den Weg läuft, würde ich glücklich sein. Das war meine romantische Vorstellung.
Wie sah die Realität aus?
Ich begriff, dass jede Beziehung kompliziert ist. Selbst jene, mit einer fast perfekten Partnerin. Denn wir Menschen sind nun mal von Natur aus kompliziert; auch ich, der sich stets für sehr nett und pflegeleicht empfand. Das klingt naiv, aber ich wurde mir selber gegenüber viel misstrauischer.
Bei uns geht es um ganz normale, emotionale Grundlektionen.
Das führte letztlich dazu, dass sich das Zusammenleben mit mir einfacher gestaltete. Wer sich nie hinterfragt, droht in eine Falle zu geraten. Wer aber befürchtet, für andere ein Alptraum zu sein, hat guten Grund zur Hoffnung.
Wir reden von den Lektionen, die uns das Leben lehrt – wir wachsen an schmerzhaften Erfahrungen; Eltern, Lehrerinnen, Vorgesetzte prägen und formen uns. Warum braucht es dennoch Ihre spezielle «Schule des Lebens» ?
Die «School of life» ist primär ein Raum, wo wir Gespräche führen, die an anderen Orten schwer möglich sind.
Probleme, die geteilt werden, verlieren ihr Gewicht.
Bei uns geht es um ganz normale, emotionale Grundlektionen. Wer sich nie damit befasst hat, droht einen hohen Preis dafür zu bezahlen.
Das ist die berührende Seite des menschlichen Lebens: Dass wir Jahre vergeuden, oder sogar ein ganzes Leben, nur weil wir ein paar Grunddinge nicht begriffen haben.
Wir kennen nun die drei Lektionen, die Sie das Leben gelehrt hat. Welche drei Lektionen hat Sie Ihre eigene «School of life» gelehrt?
Ich habe gemerkt, wie anspruchsvoll und schwierig jedes Leben ist. Auch das von Menschen, die nach aussen hin sehr heiter und erfolgreich wirken.
Die Chance von Freundschaft besteht darin, Scham abzubauen.
Eine weitere Lektion war: Probleme, die geteilt werden können, verlieren ihr Gewicht. Das klingt banal, aber wir dürfen nicht vergessen: Wir alle schämen uns, fühlen uns nicht gut genug, und wälzen diesen Kummer, wenn wir nachts nicht schlafen können.
Die Chance von Freundschaft und Gemeinschaft besteht genau darin, diese Scham abzubauen. Diese Erfahrung machen wir täglich in der «School of life».
Und die dritte Lektion?
Man braucht nicht immer eine perfekte Lösung, um sich entlastet zu fühlen. Es reicht oft schon, das Problem besser zu begreifen, auch wenn es nicht verschwindet. Denken wir an den Tod – niemand kann ihn verhindern. Aber es hilft, mit anderen darüber zu diskutieren und Texte darüber zu lesen.
Es muss nicht immer alles heiter und lustig sein – wir brauchen auch Raum für Trauer und Melancholie, solange wir das Problem verstehen und uns getragen fühlen.
Das Gespräch führte Luzia Stettler.